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Für Suchtkranke können die Feiertage eine Herausforderung darstellen. (Symbolbild)

© Patrick Pleul/dpa

Abstinenz und Glühweinduft: Sucht an Feiertagen - wie eine Ex-Trinkerin anderen hilft

Feiertage sind für Suchtkranke oft eine Herausforderung. Eine Brandenburgerin kämpft seit Jahren gegen ihre Sucht, jetzt unterstützt sie andere. Was sie empfiehlt und wo es in Brandenburg Hilfe gibt.

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Weil ihre Familie nicht verstehen konnte, dass Alkohol für sie ein Problem ist, hat Nadine Basler Weihnachten ganz allein gefeiert. Das erste Weihnachtsfest in Abstinenz ist für die nun 50-Jährige fünf Jahre her. Heute hilft die Veltenerin anderen Suchtkranken in Brandenburg unter anderem dabei, Rückfälle an den Feiertagen zu vermeiden. 

„Ich war Rotwein-Trinkerin und habe mich selbst belogen“, erzählt Basler. Sie wusste im Grunde die ganze Zeit, dass etwas nicht stimmt, wollte es aber nicht wahrhaben. Doch das Trinken habe sie nach und nach verändert. „Es ist halt ein Nervengift und irgendwann wurde ich zornig, wenn ich getrunken habe.“ Eines Tages wurde es zu viel, Basler zog die Reißleine und holte sich Hilfe, wie sie erzählt. 

Feiertage als Risiko

Die Brandenburgische Landesstelle für Suchtfragen ist eine Anlaufstelle, um Hilfe zu bekommen. Andrea Hardeling, die die Landesstelle leitet, sieht in Deutschland gerade an den Feiertagen einen hohen Alkoholkonsum. „In die Suchtberatungsstelle kommen mit 63 Prozent größtenteils Menschen wegen ihres Alkoholproblems“, sagt sie. „Darauf folgen etwa 13 Prozent, bei denen es um Cannabis geht.“ Seit des neuen Cannabisgesetzes habe sich diese Zahl nicht verändert. Kokain oder Opioide kämen seltener vor. 

Gerade die Zeit um Weihnachten und Silvester kann für Betroffene und Angehörige herausfordernd sein. „Zum einen ist es so, dass an den Feiertagen viele Menschen ungewöhnlich eng und lange mit ihrer Familie zusammen sind“, sagt Hardeling. Ein höheres Stresslevel gepaart mit der höheren Verfügbarkeit von Alkohol könne den Konsum oder die Rückfallgefahr verschärfen. 

Auch für Menschen ohne Familien können die Feiertage das Risiko erhöhen. „Für die fällt die gewohnte Tagesstruktur weg und das Gefühl von Einsamkeit kann stärker sein“, sagt Hardeling. „Das kann dazu führen, dass sie überhaupt oder mehr trinken, auch tagsüber, wenn sie normalerweise arbeiten würden.“

Ein besonderes Augenmerk sollte Hardeling zufolge den Kindern gelten, die in Familien mit einem suchtkranken Elternteil aufwachsen. Hier könne eine Bezugsperson ohne Suchtkrankheit den entscheidenden Unterschied ausmachen, ob ein Kind gesund aufwächst oder selbst eine psychische oder eine Suchtkrankheit entwickelt. 

SuchtGPT und Selbsttests

Hardeling hört häufig, dass sich Betroffene mit ihren Fragen an ChatGPT wenden – davon rät sie ab. „Es gibt aber ein Angebot, das heißt SuchtGPT.“ Das Chat- und Recherche-Tool sei datenschutzkonform und mit relevanten Daten, Fachinformationen sowie Hinweisen zur Gesprächsführung gefüttert. „Da können Betroffene oder Angehörige auch erste Fragen beantwortet bekommen oder werden auch an eine passende Beratungsstelle verwiesen.“

Einige Fragen können dabei helfen, einen Anfangsverdacht auf eine Suchtkrankheit zu überprüfen: „Trinke ich mehr, als ich eigentlich wollte? Trinke ich zu Zeiten, an denen das eigentlich nicht angemessen ist? Riskiere ich soziale Beziehungen? Kann ich aufhören?“ 

Dafür gibt es auch Selbsttests, etwa bei „suchtberatung.digital“. „Wenn mehrere Kriterien zutreffen, sollte der Konsum überdacht werden“, sagt Hardeling. „Wer es nicht schafft, ihn aus eigenen Stücken zu reduzieren, sollte sich Unterstützung organisieren.“

Lotsen sprechen auf Augenhöhe

Für Basler hat der Schritt, sich Hilfe zu holen, alles verändert. Seit fünf Jahren ist sie nun trocken. Dahinter steckt ein schwieriger und langwieriger Prozess ohne Abschluss - „ich bin nach wie vor auf dünnem Eis“, betont sie. Sie machte eine ambulante Therapie und lernte dort einen Lotsen und damit das Netzwerk in Brandenburg kennen. Sie war beeindruckt und beschloss, selbst Lotsin zu werden. 

Das Lotsennetzwerk unterstützt Menschen mit Suchterkrankungen und ihre Angehörigen. Die Besonderheit: Die geschulten Lotsinnen und Lotsen haben dabei meist selbst Sucht­erfahrung und sind seit mindestens zwei Jahren abstinent. „Wir können auf Augenhöhe mit den Betroffenen und Angehörigen reden, weil wir das ja selbst erlebt haben“, sagt Basler. Sie hören zu, begleiten, geben Orientierung und vermitteln weitere Hilfe. 

Die Lotsin wird unter anderem kontaktiert, wenn Menschen gerade eine Entgiftung in der Klinik machen und Hilfe bei den nächsten Schritten brauchen. „Viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen. Die Scham vor allem wegen der Stigmatisierung ist riesig.“ Einen Drink abzulehnen, ist in den Augen vieler nur akzeptabel, wenn man schwanger ist oder Auto fahren muss. 

„Ratschläge sind immer Schläge“

Aktuell spricht Basler mit den Menschen, die sie betreut, auch über die Weihnachtszeit. „Gerade im Advent häufen sich ja in der Werbung die Angebote für den besten Wein, den besten Gin und überall liegt der Duft von Glühwein in der Luft.“ Auf dem klassischen Esstisch an Weihnachten stünden mindestens zwei Weinflaschen. „Und wer einen Kinderpunsch trinken will, wird belächelt.“ Über die damit verbundenen Ängste und Sorgen zu sprechen, entlastet der Lotsin zufolge oft schon.

„Ratschläge sind immer Schläge“, meint Basler. Doch wenn sie danach gefragt wird, sagt sie: „Man sollte sich fragen, muss ich wirklich auf die Weihnachtsfeier gehen oder ist Abstand zum Selbstschutz besser?“ 

Auch Angehörige können überlegen, wie sie die Feiertage ohne Ausgrenzung gestalten können. „Wichtig ist, dass es Alternativen gibt. Wenn jemand keinen Alkohol trinken will, sollte das akzeptiert und stattdessen eine Brause oder etwas anderes angeboten werden.“ Wenn das Gefühl hochkommt, dass die Selbstbeherrschung schwindet, gilt: „Sofort aus der Situation zurückziehen.“ Man müsse nichts aushalten oder Erwartungen erfüllen.

Unterstützung an Feiertagen

Basler ist als Betreuerin auch an den Feiertagen erreichbar. Sie selbst kann mittlerweile wieder mit ihrer Familie feiern. „Doch das Suchtgedächtnis bleibt“, betont sie. „Wenn in einer gemütlichen Runde ein Rotwein ausgepackt wird, dann muss ich gehen.“ Sie empfiehlt auch, frühzeitig Kontakt mit Selbsthilfegruppen aufzunehmen.

Die Anonymen Alkoholiker haben extra für den Jahreswechsel auf ihrer Internetseite eine Übersicht an Veranstaltungen zusammengestellt. So findet etwa am 24. Dezember ein Treffen in Wildau statt, am 25. Dezember und am 1. Januar in Frankfurt (Oder). Dazu gibt es täglich Online-Meetings.

Zudem gibt es verschiedene Hotlines, die auch an den Feiertagen erreichbar sind, etwa von den Anonymen Alkoholikern (030 20 62 982 12) oder dem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit (01806 313031).

© dpa-infocom, dpa:251219-930-444145/1

Das ist eine Nachricht direkt aus dem dpa-Newskanal.

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