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Brandserie in Berlin: Asche im Briefkasten, Angst im Kopf

Seit Monaten hält die Serie von Brandstiftungen in Berlin an. Für Beteiligte ist es ein Leben mit der Angst. Wie fühlt es sich an in einem Haus zu wohnen, in dem ein Brandstifter Feuer gelegt hat?

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Der erste Griff geht immer noch wie automatisch zum Fahrstuhlknopf. Als wäre nichts geschehen. Doch da ist kein Fahrstuhlknopf mehr. Nur verkohltes Plastik. Für Anne D. ist dies der tägliche Moment der Ernüchterung. Der Moment, indem ihr wieder einfällt, dass vor nun fast genau zwei Monaten jemand in ihr Haus eingedrungen ist, Benzin in den Fahrstuhl gekippt und angezündet hat. Der Tag, an dem die Serie von Brandstiftungen, die seit Monaten in Berlin anhält, auch ihr Haus erreicht. Es fällt ihr schwer, das zu akzeptieren. Ein Brandanschlag, sagt sie, das passiere Menschen im Polizeibericht, bei denen der Nachname stets nur einen Buchstaben hat. So wie ihrer jetzt hier.

Im Keller, wo der Brand gelegt wurde, liegen noch immer einige Splitter der Glühbirnen, die wegen der Hitze gesprungen sind. Im Fahrstuhl selbst sind Bierdosen und anderer Unrat auf eigentümliche Weise mit dem Fußboden verschmolzen. Es ist in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Alle Fenster, alle Wände im Treppenaufgang haben schwarze Rußschlieren. Anne hat sich an den Anblick gewöhnt. Die 25-jährige Studentin öffnet den Briefkasten und pustet routiniert die Asche von der Post. Nur Besucher, sagt sie, seien oft noch geschockt. Weil sie nicht wissen, wie es hier in der Nacht des Brandes aussah. Anne D. erinnert sich gut.

An diesem Tag kommt sie spät von der Arbeit. Schon von weitem kann sie auf der lang gezogenen Hermannstraße in Neukölln die Blaulichter und Polizeiabsperrungen erkennen. Viel habe sie nicht gedacht, sagt sie. „Höchstens: Scheiße, nicht unseres.“ Sie zuckt die Achseln. Der Rest ging wie von selbst. Per Handy weckt sie ihren Mitbewohner, der noch im Bett liegt und schläft, als der Rauch bereits durch die Ritzen der Wohnungstür im vierten Stock kriecht und sich in allen Zimmern verteilt. Sie kann ihn husten hören, als er versucht, die Wohnungstür mit nassen Tüchern gegen den Rauch abzudichten. Hört wie zwei Feuerwehrmänner mit ihren Atemschutzgeräten schließlich bis zur Wohnung vordringen und sich mit Schlägen an die Tür Gehör verschaffen. „Bleiben sie hier, öffnen sie die Fenster“, befiehlt einer.

Als gegen Mitternacht alles vorbei ist, wird der Schock mit einer gemeinsamen Flasche Rotwein weggespült. Doch keiner wird in dieser Nacht ein Auge zutun. Um sich nicht ganz so hilflos zu fühlen, beschließt die WG, einen Feuerlöscher zu kaufen.

Lesen Sie mehr im zweiten Teil.

Hätten sie bereits einen gehabt und versucht, den Brand zu löschen, wäre das möglicherweise ein Todesurteil gewesen, sagt Stephan Fleischer. Er ist Sprecher der Berliner Feuerwehr, die nach Dutzenden Brandstiftungen verstärkt über richtiges Verhalten aufklären will. „Das Tödliche ist nicht das Feuer selbst, sondern die Rauchgase“, erklärt Fleischer. Zwei oder drei Atemzüge reichen aus, um in Ohnmacht zu fallen und schließlich im verrauchten Treppenhaus zu ersticken. Beim bisher schwersten Hausflurbrand am 12. März in Neukölln sind genau diese Gase einer Familie zum Verhängnis geworden. Ein Mann, eine Mutter und ihr Säugling sterben. „Wenn es außerhalb ihrer Wohnung brennt, versuchen sie nicht, selbst zu löschen, sondern schließen sie die Tür und rufen sie die Feuerwehr.“ 20 Minuten kann eine normale Wohnungstür den Flammen standhalten, schätzt Fleischer. Bis dahin komme Hilfe.

Der einzige effektive Schutz vor Brandstiftern ist aber, den Hausflur frei von brennbarem Material zu halten, sagt Fleischer. In Anne D.s Haus hat sich dieses Bewusstsein noch nicht durchgesetzt. Der Müll, der sich früher im Fahrstuhl stapelte, liegt nun im Treppenhaus verteilt. Nach wie vor stehen Kinderwagen vor den Wohnungstüren des Mehrfamilienhauses. Nur dass man nun sehen kann, zu wem sie gehören. Die Nachbarn werfen sich misstrauische Blicke zu, wenn sie sich im Treppenhaus begegnen. Das Rätsel, wer den Brandstifter überhaupt ins Haus gelassen hat, ist aber gelöst. Ein mittlerweile abmontiertes Metallplättchen an der Hintertür verhinderte, dass sie ins Schloss fallen konnte. Daneben hat der Vermieter ein Schild angebracht: „Bitte Tür schließen.“

Anne D. kann über diesen Zynismus nur bedingt lachen. Dabei ist sie selbst längst zur Zynikerin geworden. Eltern und Kollegen beruhigt sie mit den Worten: „So ist es eben, wenn man in einem sozialen Brennpunkt wohnt.“ Nur selten, sagt sie, erlaube sie sich, darüber nachzudenken, was alles hätte schiefgehen können.

Inzwischen versucht die Hausverwaltung, die Erinnerungen an den Vorfall so gut es geht zu beseitigen. Eine Putzkolonne war tagelang damit beschäftigt, die Spuren des Brandes von den Wänden des sechsgeschossigen Hauses zu wischen. Nach und nach verschwanden die schweinischen Worte und Bilder, die die Nachbarskinder mit ihren Fingern überall in den öligen Ruß geschmiert hatten. Bald soll sogar der Fahrstuhl repariert werden. Dann wird nichts mehr an das Feuer erinnern. Doch die Angst bei den Bewohnern bleibt. Denn die Brandstiftungsserie geht weiter. Neunmal wurde allein am vergangenen Wochenende in Berliner Wohnhäusern Feuer gelegt.

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