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Simi Simon kriegt sie alle. Im Neuköllner Valentinstüberl lädt die 46-Jährige seit Beginn des Jahres zur Gesprächsrunde. Foto: David Heerde

© David Heerde

Berlin: Auf einem Biertisch mit...

...Simi Simon! Diese Frau will die Ina Müller Neuköllns werden. Im Valentinstüberl organisiert sie monatlich einen Kneipentalk.

Es ist Samstag, 20.15 Uhr. Vor dem Valentinstüberl hat sich eine kleine Traube von Menschen gebildet, die noch versucht, sich in die Neuköllner Kneipe zu quetschen. Alle Sitzplätze auf den Bierbänken und an der Bar sind belegt. Wer steht, wird rechts und links von fremden Armen eingegrenzt, teilt sich Bauch und Rücken mit Vordermann und Hinterfrau – es ist eng, aber herzlich. In der Luft liegt eine Mischung aus Bier- und Zigarettengeruch. Und gerade als das Stehen richtig unbequem wird, schiebt sie sich durch die Arme und Beine, Bäuche und Rücken hindurch, setzt sich auf einen Biertisch an der Wand gegenüber des Tresens und begrüßt ihre Gäste: Simi Simon.

Seit Februar dieses Jahres lädt die Frau, die eigentlich Marion heißt– mehr möchte sie nicht verraten, jeweils zwei Gäste zum Kneipentalk ein und nennt es „Simi Will Format“. Heute ist neben Spiegel-Journalist Peter Wensierski auch die Autorin Rebecca Niazi-Shahabi zu Gast. Zusammen ergeben die beiden das Abendthema „Die Mauer ist weg – und ich bleib so scheiße, wie ich bin.“ Zum Mauerfall, da war ein Gast im Publikum gerade auf Malle, Simi Simon in ihrer Heimatstadt Trier – „das wahre Karl-Marx- Stadt“. Leicht breitbeinig auf dem Biertisch sitzend, spricht sie mit Niazi-Shahabi über Charisma. „Welches zu haben heißt, ein Thema zu haben, das das wichtigste der Welt ist“, sagt Niazi-Shahabi. Wenn diese Regel stimmt, dann hat die Showmasterin des Abends die Taschen voller Charisma.

Ein paar Tage später lässt Simon die Rollläden des Valentinstüberls nach oben. Bei der vorigen Show waren so viele Menschen da wie noch nie, und auch die erste Live-Übertragung in den Hinterraum der Bar hat funktioniert. Doch „vor der Show ist nach der Show“, weiß die 46-Jährige und öffnet sich ein alkoholfreies Hefeweizen. Neue Gäste für die Sendung im Dezember müssen her – und zwar nicht irgendwelche: „Ich muss sie toll finden, und dann zeige ich allen anderen, wie toll die sind. Darum geht’s“, sagt sie und ergänzt mit tiefer Stimme und breitem Grinsen: „Und dadurch bin ich auch toll!“ Simi Simon bekommt leichte Selbsterhöhung und gnadenlosen Realismus in einem Nebensatz unter.

Irgendwo zwischen ihrem 45. und dem 46. Geburtstag stellte sich der Sozialarbeiterin für betreutes Einzelwohnen eine Frage immer hartnäckiger: „Das war wie eine Stimme aus dem Off, die gefragt hat: Und das war’s jetzt?“ Zweimal die Woche schmeißt sie die Bar in der Kneipe ihres Ex-Freundes Peter Großhauser. Und eines Abends gab dieser ihr im Scherz das Initial: „Simi macht jetzt ihre eigene Show.“ In diesem Moment, sagt Simon, sei ihr alles klar gewesen: „Ich habe mich sofort ernst genommen, das war absurd.“ Sie wolle Promis haben und kleine Video-Einspieler für die jeweiligen Gäste. Kein Polit-Talk, sondern Unterhaltung. Dass sie damit nichts neu erfindet und eine Ina Müller schon seit ein paar Jahren ihren Kneipentalk im Öffentlich- Rechtlichen pflegt, weiß Simon auch. Aber jetzt war es eben Zeit für ihre eigene Sendung.

Zwei Monate später, im Februar dieses Jahres, läuft die erste Show. Das Prinzip ist seitdem gleich geblieben und lebt von seiner Erfinderin, die das Valentinstüberl als ihr Wohnzimmer bezeichnet. Seit 2007 arbeitet sie hier und hat mit den meisten Gästen schon einmal geredet – und sie dann zu ihrer Show eingeladen. Und sie kommen, immer zahlreicher. Eingeweihte wie Elisa in der mittleren Biertischreihe wissen schon, dass es bei „Simi Will Format“ mitunter eng wird. Die Studentin ist mit ihren Freunden meistens anderthalb Stunden vorher da, nimmt noch einen kleinen Imbiss ein. Wurstsalat Schweizer Art für 4,20 Euro, eine Leberkäs’-Semmel für 2,40 Euro oder ein Schmalzbrot für 1,50 Euro. Eine ältere Frau sitzt weiter rechts am Tisch – und ein paar Tage später an der Bar, um ihr Kreuzworträtsel zu lösen. In Simons Wohnzimmer fühlen sich verschiedene Altersgruppen wohl: „Das ist für mich gut, sonst würde ich mich hier wie eine Bar-Omi fühlen.“

Nach Omi sieht sie allerdings ganz und gar nicht aus: Simon trägt eine Jeans-Latzhose, darunter ein schwarzes Oberteil. Die dunklen Haare trägt sie zu zwei Zöpfen geflochten, an den Händen große Ringe und an ihrer Hose ein Anstecker, auf dem steht: Keine Angst! Ein Leitspruch? „Das hier ist schon so eine Art Selbsterfahrungstrip“, sagt sie. „Wie rede ich mit den Gästen? Was ziehe ich an? Was, wenn die mich komisch finden? Oder einfach keine Lust haben, zu mir zu kommen?“

Ihre Gäste sind Freunde von Freunden, Bekannte von Bekannten, manchmal auch nur Telefonnummern, die sie zugesteckt bekommt. Die von Schauspieler Aykut Kayacik flog ihr auf dem Flohmarkt zu. „Irgendwer kennt immer irgendwen, und die Leute haben meist Lust darauf.“ Die Journalistin Laura Himmelreich, der Künstler Jim Avignon und die Band LaBrassBanda waren schon da. Für die heutige Show haben Max Müller, Sänger und Gitarrist der Band „Mutter“, und Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag zugesagt.

Jede neue Anfrage koste Simi Simon auch immer ein bisschen Überwindung. „Wenn ich mich ganz scheiße fühle, schreibe ich Heinz Strunk auf Facebook an. Das mache ich so einmal im Monat.“ Einmal habe der Autor ihr sogar geantwortet – mit der Anmerkung, dass seine Gage wohl zu hoch für sie wäre. Die Vermutung ist nicht ganz falsch, denn am Ende jeder Show geht lediglich ein dicker Bierkrug durch die Reihen. Vielleicht wird Simon mal Eintritt nehmen, vielleicht finden sich Sponsoren. Bis dahin lautet Simons Antwort an Strunk: „Das Sparkonto ist schon eingerichtet!“

Simon wird ihm so lange schreiben, bis er mitmacht. Dem inoffiziellen Motto der Show kann sich keiner der anwesenden Gäste entziehen: „Simi will und alle machen mit.“

Aktuelle Termine von „Simi Will Format“ gibt es unter www.facebook.com/SimiWillFormat. Die nächste Show läuft am heutigen Sonnabend, 20.15 Uhr im Valentinstüberl, Donaustraße 112, Neukölln. Der Eintritt ist frei.

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