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Ausnahmezustand wegen Medikamentenmangel: „Die Situation in Berliner Apotheken ist extrem alarmierend“
Kerstin Kemmritz, die Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, befürchtet langfristige Engpässe bei der Versorgung mit Medikamenten und fordert mehr Unterstützung.
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Seit Ende letzten Jahres müssen in Kerstin Kemmritz´Apotheke in Weißensee täglich Patienten abgewiesen werden: Ihre benötigten Medikamente sind nicht vorhanden. Apothekenteams in ganz Berlin arbeiten im Ausnahmezustand, der Medikamentenmangel bestimmt ihre Arbeit.
„Jeden Tag schauen wir, bei welchen Herstellern und Großhändlern es vielleicht noch ein paar der Medikamente gibt, welcher Kollege vielleicht noch welche übrig hat, weil er endlich eine Lieferung bekommen hat“, sagt Kemmritz, die gleichzeitig Präsidentin der Apothekenkammer Berlin ist. Es werde immer frustrierender, weil die zeitintensive Mehrarbeit immer häufiger ohne Erfolg bleibt. „Die Situation ist weiterhin extrem alarmierend und belastet alle Beteiligten aufs Äußerste.“

© Apotheker Kammer Berlin
Eine Reihe von Medikamenten und Wirkstoffen ist von den Lieferengpässen betroffen – besonders schlecht steht es zum Beispiel um Amoxicillin, Penicillin, sowie Nasensprays und Cholesterinsenker. Die Gründe für den Mangel sind sehr unterschiedlich: Sie reichen von fehlenden Produktionskapazitäten über erhöhten Bedarf bis zu Problemen bei den globalen Lieferketten.
Auch in Krankenhäusern sind Medikamente knapp. Der Klinikkonzern Vivantes teilte auf Tagesspiege-Anfrage mit, dass die Situation insbesondere bei Antibiotikasäften für Kinder angespannt sei. Bisher könnten die Engpässe mit alternativen Präparaten ausgeglichen werden.
Die Versorgungsschwierigkeiten bei Kindern sind besonders heikel. Im vergangenen Winter konnten Apotheken noch aus anderen Wirkstoffen die besser dosierbaren Kindermedikamente herstellen. Das ist nun nicht mehr möglich, weil nun auch die Bestandteile fehlen. Vor allem die letzte Welle an Atemwegsinfektionen und Grippen räumte bei den Apotheken die letzten Bestände aus. An genügend Nachschub fehlt es nach wie vor.
Gegen die anhaltende Mangellage vorzugehen, gestaltet sich enorm schwierig. Kemmritz sieht Versäumnisse auch bei der Politik: „Jahrelang und auch in den letzten Monaten hat man die Warnungen der Apotheker und Ärzte vor Lieferengpässen ignoriert.“ Das Bundeskabinett hat im April einen Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums beschlossen, mit dem die Versorgung verbessert und Engpässe vermieden werden sollen.
„Der Gesetzesentwurf reicht nicht aus, um die Probleme zu lösen“, sagt Kemmritz und fordert, dass grundsätzlicher über die Zusammenarbeit von Produzenten, Krankenkassen, Apotheken und Ärzten nachgedacht werden muss. „Man sollte die Rabattverträge der Krankenkasse ganz genau unter die Lupe nehmen. Bei der Wirkstoffherstellung haben wir es fast mit Monopolen zu tun.“
Das ist nicht nur ein Witz, sondern eine absolute Geringschätzung unserer Arbeit
Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apotheker Kammer Berlin.
Zusätzlich erschwert die Personalknappheit die Arbeit der Apotheken: „Wir haben tagtäglich massiven Mehraufwand, dafür muss es einen finanziellen Ausgleich geben. Im Gesetzesentwurf ist der mit 50 Cent pro ausgetauschter Packung beziffert. Das ist nicht nur ein Witz, sondern auch eine absolute Geringschätzung unserer Arbeit“, urteilt Kemmritz.
Um Abhilfe zu schaffen, hat der Berliner Senat in der vergangenen Woche den Import von ausländischen, in Deutschland nicht zugelassenen Medikamenten ermöglicht. In der Praxis heißt das: Großhändler können nun einen Antrag stellen, um bestimmte Medikamente aus dem Ausland bestellen zu können. Für die Apotheken bedeuten ausländisch verpackte Ware eine gründlichere Aufklärung der Patienten und die Bereitstellung von zusätzlichen Informationen.
Kemmritz bezweifelt, dass die Entscheidung spürbar Entspannung bringt: „Deutschland ist nicht das einzige Land mit Antibiotikabedarf. Man muss erstmal ein Land finden, in dem es nennenswerte Mengen vorrätig gibt. Es ist maximal ein Tröpfchen auf einen sehr heißen Stein.“
Mit Blick auf den kommenden Herbst befürchtet sie eine ähnliche Situation wie letztes Jahr: „Es wird bei Antibiotika oder Fiebersäften weiterhin Engpässe geben“, sagt sie. Ihre Bitte an die Berliner: „Deswegen aber bitte nicht hamstern und damit den Engpass weiter verschlimmern.“
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