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Angelika Peck, Richterin, steht bei einem Ortstermin des Amtsgerichts Tiergarten im Prozess gegen einen Berliner Revierförster.

© dpa/Carsten Koall

„Der Mensch kann die Natur nicht vollständig beherrschen“: Autofahrerin im Berliner Grunewald von Baum erschlagen – Förster freigesprochen

Im Herbst 2019 stürzte ein 100-jähriger Ahorn auf das Auto einer 40-Jährigen. Im Prozess um fahrlässige Tötung wurde ein Förster nun freigesprochen.

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Wie aus dem Nichts stürzte der etwa 100 Jahre alte Spitzahorn. Es war windstill, es regnete nicht. Der Baum krachte auf einen vorbeifahrenden Jeep. Die 40-jährige Frau am Steuer erlitt schwere Kopfverletzungen, an denen sie wenig später starb.

Hatte ein Revierförster seine Sorgfaltspflicht verletzt, hätte er die Gefahr erkennen können und müssen? Drei Tage prüfte das Amtsgericht Tiergarten den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und entschied schließlich auf Freispruch.

Die Richterin wandte sich in ihrer Urteilsbegründung am Dienstag zunächst an den 48-jährigen Witwer, der als Nebenkläger mit im Saal saß. Er war Beifahrer, als es am Abend des 28. Oktober 2019 in Grunewald zu dem Unglück kam.

Schmerz und Trauer waren dem Mann ins Gesicht geschrieben. „So sehr ich Ihr Bedürfnis verstehe, herauszufinden, warum Ihre Frau sterben musste“, begann die Richterin.

Doch ob die Beschädigung sichtbar war bei einer durch den Revierförster Anfang 2019 durchgeführten Baumkontrolle, sei nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festgestellt worden, begründete die Richterin den Freispruch. Hinterher sei man schlauer. Nach dem Sturz habe man die hochgradige Beschädigung gesehen.

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Sachverständige hatten im Prozess erklärt, dass ein Hallimasch, ein Pilz also, der Hauptverursacher für extreme Fäulnis gewesen sei. Er habe das Wurzelholz des Spitzahorns ungewöhnlich schnell von innen zersetzt, hieß es. Es habe zudem einen entrindeten und so geschwächten Bereich gegeben.

Baum war seit Jahren beschädigt

Die Verteidigerin sagte, auch Dürresommer hätten dazu beigetragen, dass Bäume sterben. Der Fall habe auf tragische Weise gezeigt, „der Mensch kann die Natur nicht vollständig beherrschen“.
Die Richterin sagte, der Baum sei seit Jahren beschädigt gewesen – „niemand nahm Anstoß“. Der Angeklagte, der neu im Revier war, habe sich bei der Baumkontrolle im Januar 2019 auf seiner ersten Runde befunden. Zu bedenken sei, dass der Ahorn kein Einzelbaum sondern einer unter vielen war.

Auch die Staatsanwältin hatte auf Freispruch plädiert. Es sei unklar, wie lange der Hallimasch aktiv war und wie intensiv. Es gibt Pflichten der Berliner Forsten, Bäume zu kontrollieren, hieß es in ihrem Plädoyer. „Aber hundertprozentige Sicherheit wird es nicht geben.“ Die Nebenklage plädierte auf einen Schuldspruch, stellte allerdings keinen konkreten Strafantrag.

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Das Strafverfahren gegen den Revierförster war zunächst eingestellt, jedoch auf Betreiben von Angehörigen des Opfers wieder aufgenommen worden. Zwei Experten wurden mit Gutachten zu der Frage beauftragt worden, ob die Gefahr durch den geschädigten Ahorn vorab erkennbar war. Sie kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Die Vorsitzende Richterin entschied sich schließlich für einen ungewöhnlichen Prozessbeginn: Sie lud zu einem Ortstermin nahe der Unglücksstelle. Sie wollte „verstehen, was ein Förster tun muss, wie ein Baum kontrolliert werden muss und was eventuell falsch gelaufen ist“.

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