Berlin: Bald bleibt auch die letzte S-Bahn stehen
Lokführer trafen sich in Berlin und wollen streiken Doch Mitarbeiter plagen auch Gewissensbisse
Claus Weselsky sieht mit seinem Schnauzbart und der roten Pünktchen-Krawatte an diesem Tag nicht eben aus wie ein Popstar. Aber der 51-Jährige wird empfangen wie einer. Jubel und Applaus empfangen den Vorsitzenden der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL), als der am Mittwoch das Maritim-Hotel in der Friedrichstraße betritt. Mehr als 1000 Lokführer sind gekommen, um sich auf den bevorstehenden Streik einstimmen zu lassen, viele haben Fahnen und Trompeten mitgebracht. „Wir streiken nicht gegen die Fahrgäste und Industriekunden“, ruft Weselsky, „sondern gegen die Arbeitgeber.“
Am Montag wird es wahrscheinlich losgehen, das Ausmaß des Streiks will die GDL mit der Zeit erhöhen. Details gab der GDL-Chef noch nicht bekannt. Fest steht aber, dass auch die S-Bahn einbezogen wird – trotz der „äußerst schwierigen Situation“. Doch die Gewerkschaft wolle ihre Ziele erreichen, für die technischen Probleme der S-Bahn könne sie nichts. „Die GDL ist nicht verantwortlich für das Missmanagement und den Sparkurs für einen erzwungenen Börsengang“, findet Weselsky. Das Ziel der Lokführer ist ein Flächentarifvertrag, bei dem für den Personen- wie für den Güterverkehr gleiche Arbeitsbedingungen und Löhne gelten. Außerdem soll es eine Jobgarantie für die Zugführer geben, wenn der Betreiber einer Strecke wechselt. Als einziges Zugeständnis an die Hauptstadtregion kündigte der Gewerkschaftschef an, dass die S-Bahn nicht an allen Streiktagen in die Arbeitskämpfe einbezogen werde.
Die Fraktionen im Abgeordnetenhaus reagierten mit Unverständnis. „Völlig inakzeptabel und ein unwürdiges politisches Kräftemessen auf dem Rücken der Berliner“, sagte Christoph Meyer, Fraktionsvorsitzender der FDP-Fraktion. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Henkel forderte, die S-Bahn vom Streik auszunehmen. Der parlamentarische SPD-Geschäftsführer Christian Gaebler appellierte, dem Unternehmen nicht noch mehr Schaden zuzufügen. Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende der Grünen, kritisierte es als „bedauerlich, dass sich die GDL nicht durchringen konnte, Berlin zu verschonen“.
Drei von vier Lokführern sind Mitglied der GDL, die Basis stützt die Taktik des Vorstands. „Gerade angesichts des Wettbewerbs im Nahverkehr ist der Streik gerechtfertigt“, sagte Frank Nachtigall, GDL-Bezirkschef für Berlin, Brandenburg und Sachsen. Ab 2017 müsse der S-Bahn-Verkehr ausgeschrieben werden, Direktvergaben seien einem Gerichtsurteil zufolge nicht mehr möglich. „Die Lokführer verlangen einen sicheren Arbeitsplatz, auch wenn ein anderer Betreiber den Auftrag erhält.“
Die Situation bei der S-Bahn ist den Lokführern zwar bewusst. „Aber wir wollen unsere Ziele erreichen“, sagte Michael Bublies, stellvertretender S-Bahn-Betriebsratsvorsitzender. Zudem seien die Lokführer angesichts der Krise demotiviert und überlastet. Das bestätigte eine Abfertigerin: „Ich werde regelmäßig von den Leuten angeschrien, dabei bin ich doch selbst nur Opfer der Bahnvorstände.“ Dennoch habe sie Verständnis für die Kunden. „Weder Fahrgäste noch Mitarbeiter spielen bei der Bahn eine Rolle, nur die Gewinne zählen“, sagte ein anderer Lokführer. Allerdings plagten viele Kollegen Gewissensbisse gegenüber den Fahrgästen.brö/spa