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Die Erwartungen an Stiefväter sind gering. Es reicht schon, dass sie die Kinder nicht auffressen wie ein Löwe bei Rudelwechsel. Hier ein Löwenpaar im Berliner Tierpark.

© Thilo Rückeis

Gendergap bei Stiefeltern: "Bei Stiefvätern reicht es schon, dass sie die Kinder nicht auffressen wie ein Löwe"

Stiefmüttern dagegen wurde über Generationen beigebracht, dass sie sich anstrengen müssen, um geliebt zu werden. Eine Ungerechtigkeit!

Patchworkfamilien sind keine moderne Erfindung. Früher hießen sie nur nicht so und die Gründe waren andere: Starb eine Mutter – und das passierte oft, bei den vielen Kindern, die eine Frau zur Welt brachte –, musste eine neue her. Wer sonst sollte sich kümmern? Der Mann etwa? Starb ein Vater – und das passierte oft, bei den vielen Kriegen, in denen sich Männer gegenseitig umbrachten –, musste sich die Frau alleine mit der Brut abrackern.

Männer, das ist heute nicht anders, heirateten beim zweiten Mal lieber jüngere Frauen. Und wenn doch eine mit Kindern, erwarteten sie als Versorger doppelten Fleiß. Denn wer zahlt, hat die Macht. Auch, wenn er nicht der Macher ist.

Jungen bekommen 20 Prozent mehr Taschengeld als Mädchen

Was ist heute anders? Der moderne Mann macht natürlich mit im Haushalt. Wer bei der CDU den Vorsitz haben will, muss sogar mal einkaufen oder seine Hose bügeln. Dabei ist genauso wichtig, wer den Einkaufszettel schreibt und wer seine Hose ausgesucht hat. Das ist oft die Frau.

Der Mann zahlt, aber es ist nicht sein Verdienst. Dass Männer finanziell privilegiert sind, hat sich rumgesprochen. Satte 20 Prozent beträgt der Gendergap im Berufsleben. Studien zufolge beginnt die Ungerechtigkeit schon im Kindesalter: Jungen bekommen mehr Taschengeld als Mädchen und zwar, genau, 20 Prozent.

Um den Streit ums Geld später, wenn Jungen und Mädchen erwachsen und getrennte Eltern sind, zu minimieren, gibt es die Düsseldorfer Tabelle mit festen Sätzen für den Kindesunterhalt. Aber es gibt einen anderen Gendergap, der mit der Ex und nicht mit Excel zu klären ist: neue Partner zum Beispiel.

Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.

© Christobal

Laut dem Bundesministerium für Familie liegt der Anteil der Patchworkfamilien mit Stiefvätern bei 47 Prozent, der mit Stiefmüttern bei 27 Prozent. 20 Prozent mehr Stiefväter? Das überrascht. Von denen hört man viel weniger Gemoser. Keine grausamen Märchen. Keine turbulenten TV-Komödien.

Nach meiner Beobachtung knallt es im Risikogebiet Patchworkfamilie öfter, wenn eine Stiefmutter mit von der Partie ist. Sind Männer etwa die besseren Stiefmütter?

„Nur 20 Prozent der Kinder kommen mit ihrem Vater“, sagt meine Kinderärztin. Und das in Prenzlauer Berg. Aber egal ob mit getrenntem oder Stiefvater, oft auf Geheiß der Mutter. Ob zur U6 oder U7, wissen die wenigsten. Ähnlich beim Schuhkauf: Der Mann kennt den Preis der Winterstiefel, weil er sie bezahlt, aber ob Größe 31 oder 34, weiß die Frau. Nicht selten ist diese Frau die Stiefmutter.

Die Stiefmütter von heute sind die Scheidungskinder von einst

Die Stiefmütter von heute sind die Scheidungskinder von einst, deren Väter schon gelobt wurden, wenn sie ohne Anwalt ihrer Unterhaltspflicht nachkamen. Oder vielleicht mal ins Spaßbad einluden. Wo sich heute am Wochenende immer noch die Scheidungs- und Stiefväter tummeln, deren Kinder zwar die Badehose falsch rum anhaben. Aber egal. Hauptsache, Spaß!

Von uns Frauen werden sie dafür bewundert wie ein Vater, der – wow! – es trotz seines Jobs geschafft hat, einen Kuchen zum Kitafest mitzubringen. Vielleicht auf dem Weg gekauft, aber das geht ja mit seinen 20 Prozent mehr Gehalt.

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Noch geringer sind die Erwartungen an Stiefväter. Bei denen reicht es schon, dass sie die Kinder nicht einfach auffressen wie ein Löwe bei Rudelwechsel.

Stiefmüttern dagegen wurde über Generationen beigebracht, dass sie sich anstrengen müssen, um geliebt zu werden. So setzen wir uns selbst unter Druck, mischen uns ein und buhlen um Aufmerksamkeit bei Mann und Kind gleichermaßen. Frau sein, das hat schon Oma mit Kind und Kegel – übrigens das alte Wort für das uneheliche Kind – gelernt, heißt kümmern.

Frauen sollen ihren Job machen. Aber wenn sie zu gut darin sind, gibt’s Ärger

Es gibt mittlerweile Ratgeber für Stiefväter. Aber die beschäftigen sich oft mit Rechtsfragen. Stiefmütter suchen Lösungen für ihre Schuldgefühle, wenn sie das Stiefkind am liebsten auf den Mond schießen würden. Oder in den Wald schicken. Aber den gibt’s ja zum Glück nicht mehr in Berlin-Mitte.

20 Prozent beträgt der Gendergap im Berufsleben. Studien zufolge beginnt die Ungerechtigkeit schon im Kindesalter: Jungen bekommen mehr Taschengeld als Mädchen und zwar, genau, 20 Prozent.

© Andrea Warnecke/dpa.tnm

So rackern wir uns auch heute mit den fremden Kindern und dem vertrauten Gefühl ab, nicht zu genügen. Voller Einsatz wird von uns vorausgesetzt, als wäre das in unserer Natur.

Aber zu viel des Guten darf’s auch nicht sein. Sonst tritt die echte Mutter in Konkurrenz. Und wird mit Gebrüll zur Löwenmutter.

[Lesen Sie auf Tagesspiegel-Plus: Wie Scheidungskinder wieder glücklich werden]

Alles wie immer: Frauen sollen ihren Job machen. Aber wenn sie zu gut darin sind, gibt’s Ärger. Am besten, wir machen einfach 20 Prozent weniger.

Aline von Drateln, selbst Scheidungskind, wuchs mit Mutter, Stiefvater und insgesamt vier Schwestern und Halbschwestern auf. Mit 24 wurde sie unerwartet Stiefmutter, als ihr heutiger Ehemann neun Monate nach ihrem Kennenlernen ein Kind von seiner Ex bekam. Mittlerweile haben sie noch zwei gemeinsame Kinder.

Alle 14 Tage erzählt sie im Tagesspiegel von der Zerreißprobe Patchwork: Wie es sich anfühlt, ein Leben lang „die Neue“ zu sein, weshalb sie daran gescheitert ist, die beste Stiefmutter der Welt sein zu wollen – und sich wundert, dass es zwar „Familienväter“ gibt, aber keine „Familienmütter“.

Lesen Sie hier Folge 1: Blut ist dicker als Wasser? Deswegen schwimmen wir noch lange nicht im gleichen Viren-Pool!

Lesen Sie hier Folge 2: Von wegen böse Stiefmutter - Aschenputtel!

Lesen Sie hier Folge 3: Wir Stiefmütter sind ein vollwertiger Teil der Familie!

Lesen Sie hier Folge 4: Unser Baby, die Exfrau und ich

Lesen Sie hier Folge 5: Fifty-fifty kann für Kinder so ungerecht sein

Aline von Drateln

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