
© Sven Darmer (Symbolbild)
Bergius-Schule: Strenge Disziplin oder überholte Pädagogik?: Das meint die Tagesspiegel-Community zu den Vorwürfen der Schüler
Wie viel Autorität braucht eine Schule wirklich? Sind Mülldienst im Winterdunkel und Toilettengang-Atteste notwendige Maßnahmen oder Ausdruck eines gescheiterten Erziehungskonzepts?
Stand:
Die Bergius-Schule in Berlin steht erneut im Fokus der Öffentlichkeit. Nachdem im vergangenen Jahr bereits mehrere Vorfälle für Schlagzeilen sorgten, erschütterte jüngst ein Angriff, bei dem Schüler vor bewaffneten Angreifern Schutz in einem Supermarkt suchten, das Sicherheitsgefühl vieler Anwohner und Eltern. Doch es sind nicht nur Fragen der Sicherheit, die aktuell heiß diskutiert werden: Schüler und Beobachter werfen der Schule nun auch vor, ein überholtes und übermäßig strenges Erziehungskonzept zu verfolgen.
So berichten Schüler von disziplinarischen Maßnahmen wie morgendlichem Mülldienst im Winterdunkel ab 6:30 Uhr, verpflichtenden Attesten für den Toilettengang sowie harschem Verhalten einzelner Lehrkräfte, darunter Beleidigungen und autoritäre Umgangsformen. Manche Schüler vergleichen diese Methoden mit längst vergangenen pädagogischen Ansätzen aus den 1930er Jahren.
Diese Vorwürfe entfachen eine kontroverse Debatte über Disziplin, pädagogische Verantwortung und den Zustand der Schule insgesamt. Im Folgenden lesen Sie redaktionell ausgewählte Kommentare aus der Tagesspiegel-Community, die die Problematik aus verschiedenen Perspektiven beleuchten – von der Kritik an veralteten Methoden bis hin zur Frage, wie moderne Ansätze an Brennpunktschulen aussehen könnten.
talkabout
Was ich hier über Regeln an dieser Schule lese z.B., dass die Schüler hinter ihren Stühlen stehend auf den Lehrer warten und ihn beim Eintreten einstimmig mit „Guten Morgen“ begrüßen müssen – und auch die „Strafmaßnahmen“ gegenüber Schülern klingen total überholt und unzeitgemäß. Es ist ganz sicher eine besonders große Herausforderung, heutzutage als Lehrer/in zu arbeiten – und gerade an Schulen, in denen es Sprach- und Kulturprobleme gibt. Aber diese veralteten pädagogischen Maßnahmen müssen sicher mal überdacht werden.
Wurzelpeter7
Der Ruf nach Recht & Ordnung sowie der entsprechenden Disziplin scheint dann ja doch nicht der unausweichliche Weg aus der Situation zu sein. In der Schule hat man es dann wohl doch mit Menschen zu tun, die entsprechende Reaktionen auf übergriffiges Verhalten zeigen.
Hiermit möchte ich ausdrücklich keine Gruppe im allgemeinen beurteilen. Es ist aber aus meiner Sicht wichtig die Schüler als Individuen zu hören und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich an einem für diese Schule dringenden Transformationsprozess zu beteiligen. Da sich die Schülerschaft scheinbar auch aus Menschen zusammensetzt, deren Umfeld wenig Erfahrung mit gesellschaftlicher Teilhabe hat, müssen diese aber hierfür entsprechend begleitet und unterstützt werden. Dies gilt übrigens auch für eine Zusammenarbeit mit anderen Schulen (auch überbezirklich).
Kürzungen, wie sie derzeit in Berlin in eben diesen Hilfsangeboten stattfinden, sind äußerst kurz gedacht und werden der Stadt noch auf die Füße fallen. Ein Beispiel ist der Wegfall der Brennpunktzulage für Lehrkräfte besonders geforderter Schulen, die ein Engagement entsprechend motivierter Lehrkräfte zumindest einschränkt.
Michael48
Also: Der Schulbeginn um 7:30 Uhr führt zu Adipositas und Depressionen! Und was passiert, wenn die Schüler ein, zwei Jahre später in die Lehre gehen und um 7 Uhr in der Firma sein müssen? Ich arbeite bei einem Bildungsträger und weiß, dass viele der jungen Leute bis zwei, drei Uhr morgens mit ihrem Handy Computerspiele spielen.
Aber die Schule muss auf der anderen Seite auch dringend ihr Unterrichtskonzept überprüfen. Strenge allein ist keine Lösung. Und wenn die zitierten Lehreraussagen stimmen, zeugen sie auch von einer Hilflosigkeit der Lehrkräfte. Fazit: Die Schule wird mit ihren massiven Problemen offensichtlich allein gelassen. Von der Schulaufsicht, von der Senatsverwaltung, von der Politik. Einmal bedarf es einer ganz anderen Schwerpunktsetzung in der Bildungspolitik. Michael Nath
Zweitemeinung
So gewinnt man keine internationalen, beweglichen Fachkräfte. Die werden ihrem Nachwuchs so ein piefiges System ersparen und ziehen erst gar nicht hierher. In den meisten zivilisierten Länder beginnt die Schule um 9.00 Uhr und Lehrer/Schulleiter, die sich als Zuchtmeister verstehen haben schnell Zivilklagen am Hals.
ukg
Diese Schule hat sehr viele Herausforderungen zu bewältigen und steht damit nicht allein da. Unter anderem stelle ich mir das Zusammenwachsen einer Schulgemeinschaft als schwierig vor, wenn ein Großteil der SuS die Schule zugewiesen bekommen, also nicht frei gewählt hat und teilweise aus anderen Bezirken anreisen muss. Diese Kinder und Jugendliche sind zunächst einmal nicht im Kiez verwurzelt, haben lange Fahrtwege zu bewältigen und mehrheitlich womöglich keine als linear zu bezeichnende Bildungslaufbahn hinter sich.
Oftmals wohl auch keine Erziehungsberechtigten, die über großartige Ressourcen verfügen, von denen deren Kinder in Bezug auf Schule profitieren können. Um Schuldistanz -und Abbruch zu vermeiden sowie das Klima zu verbessern, sollte die Schule eine gründliche Analyse durchführen, von allen Seiten Unterstützung angeboten bekommen und auch annehmen. Wohlbefinden ist wichtig für den Lernerfolg der Kids und ohne gesunde, motivierte Lehrkräfte läuft auch nichts rund. Letztlich sollten also alle daran interessiert sein, dass ein gelingender Prozess entsteht und neue Perspektiven eröffnet werden. Viel Erfolg
Sroka1011
Ich bin Erziehungswissenschaftlerin und unterrichte in Berlin momentan geflüchtete Kinder mit moderner Pädagogik, Offenheit, jedoch auch konsequent, mit ganz klaren Regeln und Konsequenzen, die nachvollziehbar sind bei Fehlverhalten. An vielen Schulen fehlen Lehrer. Die Lehrpläne sind viel zu voll. Auf Bedürfnisse der Kinder geht kaum jemand ein. Es wird in Berlin oft wirklich wie vor 200 Jahren unterrichtet- überholt verkrustet hierarchisch. Dass die bei migrierten Schülern Frust aufbauen, ist ganz klar. In Neukölln nutzen Lehrer Unterricht für soziales Lernen und unterrichten 20 Minuten Lerninhalte. Das ist der richtige Ansatz.
Lio2016
Einfach mal den Spieß umdrehen, jetzt tragen die Lehrer also die Schuld an diesen Zuständen und ihre unzeitgemäßen Methoden. Sagt wer? Die Schüler, die sich maßgeblich an den Eskalationen beteiligen? Die Schülervertretung sagt es anders. Fakt ist, der ehemalige Schulleiter hat dafür gesorgt, dass die Friedrich-Bergius-Schule eine hochangesehene Schule wurde und dann lange Zeit auch blieb. Nur drei Jahre nach seiner Pensionierung ist alles verspielt. Die Gründe sind vielfältig, aber natürlich will es keiner gewesen sein.
ZehPehAh
Ich kann es mir vorstellen, dass beides zutrifft; also die Gewalt gegen den Lehrkörper und die Gewalt durch den Lehrkörper. Das ist eine Frage der Dynamik. Einfluss haben hier beide „Seiten“, aber die Erwachsenen im Rahmen ihrer erwachsenen Möglichkeiten deutlich mehr Verantwortung.
squad44
Die Probleme an dieser Schule sind offensichtlich deutlich komplexer als das Klischeebild, auf das sich jetzt viele mit simpler politischer Agenda stürzen. Nicht nur das hier geschilderte unsägliche Verhalten mancher Lehrer, auch das offensichtlich manipulative Agieren der Schulleitung gegen die kritische Berichterstattung wirft viele Fragen auf.
Marise @squad44
Woher wollen Sie denn wissen, dass die Anschuldigungen der SchülerInnen stimmen? Ich kann mir nicht, aber überhaupt nicht vorstellen, dass ein Lehrer „Halt die Fresse“ sagt.
Claudia @Marise
Vorstellen kann ich mir das schon. Ich habe an einer anderen Schule u.a. erlebt, dass ein Lehrer eine fünfte Klasse einschloss, um Rauchen zu gehen. Leider sind auch beide meine Eltern Lehrkräfte gewesen, die pädagogisch auf dem Stand von 1930 stehen geblieben waren. Mein Vater hat mal zu einem Schüler gesagt, „Entweder Du verpisst Dich, oder ich gehe“, und hat im Anschluss den Klassenraum verlassen. Meine Mutter hat Kinder aus Akademiker- und Nicht-Akademiker-Haushalten sehr unterschiedlich behandelt, konkret hat sie diskriminiert. Vorstellen kann ich mir also viel, nur beurteilen kann ich es nicht, auch nicht anhand der diversen Artikel zu dem Thema. Was für mich gar nicht geht, ist ein Schulstart um 07.30 Uhr, Hofdienst ab 06.30 Uhr, und ein Attest für den Toilettengang.
Ina27
Ich wohne gegenüber dieser Schule. Bis vor einiger Zeit war das ein friedlicher Kiez. Seit einem Jahr hat sich die Stimmung erheblich verschlechtert. Während Homeoffice-Zeiten können wir die Fenster nicht öffnen, da draußen aggressiv gebrüllt und geschrien wird. Vor unserem Haus ist ein Platz mit einer Tischtennisplatte. Dort sitzen die Schüler nach Unterrichtsschluss, brüllen im wahrsten Sinne herum und hinterlassen Berge von Müll.
Als ich freundlich darum bat, den Müll wegzuräumen, wurde mir dreist ins Gesicht gelogen. Mittlerweile habe ich mir eine Müllzange gekauft und räume den Dreck dieser Schüler weg. Mir wurde bereits geraten, einfach hin und wieder die Polizei zu rufen. Diese strengen Maßnahmen, Schüler morgens zum Mülleinsammeln in die Schule zu bitten, kann ich daher nachvollziehen. Während anderswo eine freundliche Bitte reicht, ist es hier leider nicht damit getan. Ich habe großen Respekt vor Lehrern, die mit einem solchen Verhalten täglich konfrontiert sind und damit ruhig umgehen müssen.
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