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Berlin: Berliner Schnauze jetzt ganz ohne Herz

BERLIN .Herz mit Schnauze - so sieht der Berliner sich selber vorzugsweise.

BERLIN .Herz mit Schnauze - so sieht der Berliner sich selber vorzugsweise.Ist nur noch die Schnauze übriggeblieben? Kritische Beobachter behaupten das gerne.Eins steht wohl fest: Die Schnauze ist ruppiger geworden, beleidigender und ohne Bedenken reicht sie häufig tief ins Strafrecht hinein.Die Statistik belegt das.Seit den Zeiten des alten West-Berlins und seit der Vereinigung der Stadt hat sich die Zahl der Verurteilungen wegen Beleidigung in Berlin glatt verdoppelt.Und dabei glauben professionelle Beobachter inzwischen, daß ein Großteil der Bevölkerung so abgehärtet ist, daß er gar nicht mehr juristisch auf eine Beleidigung reagiert.

"In seinem Wesen mischen sich Gutmütigkeit und Furchtlosigkeit", schrieb noch Walther Kiaulehn über den Berliner.Im Spaß am Krakeel entzünde sich, lediglich, seine "Freude an rednerischem Überschwang".Aber Überschwang ist nicht gemeint, wenn etwa der Moabiter Strafrichter Rüdiger Warnstädt meint, "der Umgangston ist grauenvoll geworden".Oder wenn der Verkehrsrichter Falko Gramse sagt, Beleidigungen unter seinen Kunden hätten eine steigende Tendenz, wobei der Täter sich häufig nicht mehr mit seinem Mundwerk begnügt, sondern ihm gerne auch noch Nötigung, Körperverletzung oder Sachbeschädigung folgen läßt.Nicht mehr Herz mit Schnauze.Eher Schnauze mit Faust.

Die Zahl der Verurteilungen wegen Beleidigung ist (siehe Statistik) von 711 im Jahr 1985 auf lediglich 800 im Vereinigungsjahr 1990 gestiegen.Ein kurzes euphorisches Jahr lang müssen sich die Berliner dann auf ihr Herz besonnen haben.Denn 1991 gingen bei der Strafjustiz sämtliche Zahlen in diesem Bereich zurück.Selbst die wegen ihres Mundwerks Vorbestraften hielten sich in diesem einen Jahr dramatisch unter Kontrolle.Verurteilt wurden 1991 insgesamt nur 746 Berliner wegen Beleidgung.

Dann muß der Vereinigungsstreß die Stadt überwältigt haben - oder die Vereinigungs-Euphorie hat die Herzen der Berliner wieder verlassen.Man beleidigte sich fortan auf Teufel komm raus.Die Zahl ist 1997 auf über 1500 geklettert, und seitdem hat sich nach allgemeiner Beurteilung nichts gebessert.Wer beleidigt, der beleidigt völlig hemmungslos.Man könnte sagen, der ausgestreckte Finger hat sich zur verlängerten Schauze des Berliner entwickelt.

An einem Imbißstand hatte im vorigen Jahr ein Mann an einem anderen Anstoß genommen."Du Soldatenarsch, Nazischwein", warf er ihm erst rhetorisch an den Kopf, um dann eine Bierbüchse auf den Rücken des Opfers folgen zu lassen und mit dem Epilog zu schließen: "Du Nazi, ich bringe dich um, du Arschloch".Der Fall ist angeklagt.30 oder 40 Tagessätze bringt so etwas im allgemeinen.

Auf einem Spielplatz hatte eine Frau das Mißfallen eines Mannes erregt."Ausländernutte, Ausländerhure" entfuhr es ihm.Und als der Ehemann des Opfers erschien, schleuderte er ihm unter Mißachtung des Akkusativs "Ick schlage dir tot" an den Kopf.Ein Richter hat das erste Delikt (Beleidigung) mit 30 Tagessätzen à 30 Mark geahndet, das zweite (Bedrohung) nochmals mit 30 à 30.Gerichtsüblich wurden sie in einem Strafbefehl zu 40 à 30 zusammengefaßt, was also 1200 Mark Strafe ergibt.Dem Täter paßt das nicht.Er hat Einspruch eingelegt und wird nun eine Hauptverhandlung bekommen.

Eine Fundgrube der modernen Fäkal- und Sexualsprache ist ein internes Papier der Polizei, das dokumentiert, was Polizisten sich so alles anhören müssen (siehe Kasten).Am harmlosesten ist da noch jener Jugendliche, der natürlich nicht wußte, daß unerwünschtes Duzen ein Eingriff in die Intimsphäre und deshalb eine Beleidigung ist.Vermutlich durch Fernsehkonsum geistig verwirrt, fuhr er den Beamten an:" Ich sieze nur Menschen.Zieh deine Uniform aus und zeig mir, daß du wie ein Mann kämpfen kannst".Ein gnädiges Gericht hat es bei einer Ermahnung belassen.

HANS TOEPPEN

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