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Berlin: Der unterschätzte Onkel-Ahmet-Laden

Tante Emma ist tot - es lebe "Onkel Ahmet": Türkische Händler sind erfolgreicher als viele denken und haben die ethnische Nische verlassen.

Traurig, aber wahr: Der Tante-Emma-Laden ist in der Großstadt Berlin so gut wie ausgestorben. Lebensmittel kauft man im Supermarkt oder günstiger im Discounter. Als Alternative hat sich vor allem einer durchgesetzt: der „Onkel-Ahmet-Laden“, wie türkische Obst- und Gemüsegeschäfte mitunter genannt werden. Längst preisen die Händler ihre abgepackten Hülsenfrüchte, die exotischen Früchte und das bunte Gemüse nicht nur in Einwanderervierteln an – jeder Berliner hat „einen Türken“ in der Nachbarschaft.

Der ehemalige Finanzsenator und jetzige Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin (SPD) erregte die Gemüter, weil er im Zusammenhang mit integrationsunwilligen Einwanderern sagte, Türken und Araber hätten „keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel“. Viele erkannten darin eine Beleidigung. Türkische Händler verstehen ihre Arbeit jedoch als Beleg für ihre Integration. Und die Statistik gibt ihnen recht.

Nach Einschätzung des Zentrums für Türkeistudien ist der türkische Lebensmittelverkauf zum volkswirtschaftlichen Faktor herangereift. Mehr als 40 Prozent aller türkischen Unternehmer in Deutschland sind demnach im Lebensmittelsektor tätig und machen 13 Milliarden Euro Jahresumsatz. Auf Berlin umgerechnet heißt das: Rund 4000 türkische Geschäfte erwirtschaften ein Umsatzvolumen von mehr als einer Milliarde Euro.

Sieben davon betreibt Celal Irgi. Die neueste Filiale der „Euro-Gida“-Supermärkte hat der 51-Jährige gerade in Neukölln eröffnet. Vor dem Eingang sind Kisten mit Orangen, Granatäpfeln, Ananas und Gemüse drapiert. Die Preise stehen auf grellgelben Schildern, zur Eröffnung gibt es viele Angebote. Vier Männer rufen Ware aus, auf der Karl-Marx-Straße klingt es wie auf dem Wochenmarkt.

„Das ist Tradition und gehört zur Show“, sagt Irgi. Das Obst und Gemüse hätte zwar auch in dem 1365 Quadratmeter großen Laden Platz, „aber die Leute wollen es draußen sehen“, sagt er. Der ehemalige Gastronom muss es wissen. Irgi kam 1979 nach Berlin und ist ein Pionier des türkischen Lebensmittelhandels. Er trägt Jeans und Pulli, hat das Handy immer griffbereit und fährt ständig von einem seiner Geschäfte zum anderen. Den Handel mit Obstkisten hatte er kurz vor der Wende angefangen, 2000 eröffnete er seinen ersten Euro-Gida-Markt – ein Familienbetrieb in Rudow. Inzwischen habe er 130 Mitarbeiter und mache zwölf Millionen Euro Umsatz im Jahr. „2010 erwarten wir mehr.“

Dagegen sind die meisten türkischen Geschäfte- und Spätkaufbetreiber froh, wenn sie sich über Wasser halten können. Denn für die Existenz der vielen Läden gibt es einen Grund, über den die meisten Betreiber nicht sprechen wollen: Billig- und Billigstlöhne für harte Arbeit. Viele sind bereit, weniger Geld zu machen und dabei länger und härter zu arbeiten als ihre deutschen Vorgänger im Tante-Emma-Laden. Der Gründerboom mit Obst und Gemüse beruht nicht zuletzt auf der hohen Arbeitslosigkeit unter ungelernten türkischen Einwanderern.

Anfangs eröffneten Türken Lebensmittelgeschäfte, damit Familien in Migrantenvierteln ihren Essgewohnheiten nachgehen können. Deutsche Geschäfte führten viele Zutaten gar nicht oder nur in teuren, kleinen Mengen. „Onkel Ahmets“ Kunden waren fast immer Landsleute. „Das ist nicht mehr so“, sagt Irgi, „heute fragen bei uns Deutsche wie selbstverständlich, wo der Bulgur steht.“ Fast die Hälfte der Euro-Gida-Kunden seien Einheimische.

Laut einer Befragung des Zentrums für Türkeistudien hat jedes dritte türkische Lebensmittelgschäft hauptsächlich deutsche Stammkunden, die günstige Melonen, Oliven und Schafskäse zu schätzen wissen. Die Marktlücke für mediterrane Lebensmittel haben auch deutsche Supermarktketten entdeckt: Fast alle verfügen heute über eine Ecke mit türkischem und anderem Ethno-Sortiment.

In Berlin allerdings ist dieses Geschäft noch größtenteils in türkischer Hand. Nach Einschätzung des Handelsverbands Berlin-Brandenburg sichern die Türken vielerorts die Nahversorgung. Ihre Angebote seien „nicht mehr wegzudenken“, urteilt Hauptgeschäftsführer Nils Busch-Petersen. Das Obst und Gemüse kaufen die Ladenbetreiber im Berliner Großmarkt. Auch dort überwiegt bereits die Zahl türkischer Händler, sagt Geschäftsführer Andreas Foidl. Von rund 50 Unternehmern sind etwa 30 türkischstämmig. Rund 200 000 Tonnen Agrarprodukte werden hier laut Foidl im Jahr verkauft und bringen geschätzte 400 Millionen Euro Umsatz.

Früher, als Discounter den Markt noch nicht mit Billigwaren überflutet hatten, sei im Großmarkt doppelt so viel Obst und Gemüse gehandelt worden, sagt Foidl. „Inzwischen können nur noch die überleben, die Frisches günstig anbieten.“ Deutsche Familienbetriebe gebe es nicht mehr. Allerdings könnte es sein, dass die türkischen Geschäftsleute einen Trend verpassen: die Biowaren. „Das ist hier noch kein Thema“, sagt Foidl, „es entwickelt sich sehr schleppend.“

Ferda Ataman

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