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Thomas Ebert wirbt in seiner Steglitzer Gemeinde kreativ für die Unterbringung der Gäste des Kirchentages.

© Thilo Rückeis

Evangelischer Kirchentag in Berlin: Bettensuche für den Kirchentag

Zum Kirchentag vom 24. bis 28. Mai werden hunderttausende Christen beten und singen. Die Logistik ist gigantisch, doch tausende Unterkünfte fehlen noch.

In der Potsdamer Straße 180 bis 182 brennt oft bis Mitternacht Licht. Hier hatte früher die BVG ihre Zentrale, nach dem Auszug standen viele Büros leer. Im September hat der Evangelische Kirchentag im vierten und fünften Stock des imposanten Gebäudes seine temporäre Geschäftsstelle eingerichtet. Vom 24. bis 28. Mai werden hunderttausende Christen in Berlin Kirchentag feiern. Bis dahin sind es keine 100 Tage mehr. Die über hundert Mitarbeiter der Geschäftsstelle planen rund um die Uhr.

Die Kollegen vom Teilnehmerservice koordinieren 140 000 Dauerteilnehmer plus 45 000 Tagesgäste, sie planen den Einsatz von 50 000 Ehrenamtlichen, suchen 15 000 Privatquartiere und treiben die Unterbringung von 60 000 Gästen in 300 Schulen voran. Nebenan feilen Projektleiter an letzten Details des Programms und koordinieren tausende Referenten. Ein paar Türen weiter verhandeln Mitarbeiter der Verpflegungsabteilung mit Brandenburger Bauern, um die Gäste bio und fair bewirten zu können. Andere brüten zusammen mit der Polizei über einem Sicherheitskonzept. „Wir planen deutlich mehr Sicherheitsmaßnahmen als bei vergangenen Kirchentagen“, sagt Sirkka Jendis, die Sprecherin des Kirchentags.

In einem anderen Büro wird zusammen mit der Bahn und der BVG an einem Verkehrskonzept gearbeitet. Eine Kollegin, die sie intern „Mrs. Südkreuz“ nennen, kümmert sich nur um diesen Bahnhof. Denn von dort aus sollen am 28. Mai hunderttausend Kirchentagsteilnehmer zum Fest- und Abschlussgottesdienst nach Wittenberg transportiert werden. Die Bahn will Züge im Zehn-Minuten-Takt fahren lassen. Und doch ist das Ganze eine riesige Herausforderung. „Es sollte sich niemand spontan am Morgen des 28. Mai auf den Weg nach Wittenberg machen“, heißt es. Die Bahn bietet an, schon jetzt online spezielle Kirchentags-Shuttle-Tickets zu buchen. Die Fahrt kostet sechs Euro.

Bautechniker und Architekten bereiten außerdem bis zu 300 Veranstaltungsorte für die über 2500 Gottesdienste, Workshops, Podiumsdiskussionen, Lesungen und Konzerte vor. Zwei Drittel sollen auf dem Berliner Messegelände stattfinden, ein Drittel über die Stadt verteilt. Die Abteilung Materialwirtschaft hat hunderttausende Papphocker in Auftrag gegeben.

„Jetzt ist die Phase, in der man verlernt, wie ein Supermarkt von innen aussieht“, sagt Oliver Schöpe vom Teilnehmerservice. Weil das allen hier so geht, wird im Casino im fünften Stock jeden Tag ein kleines Abendbrot gereicht. Danach geht’s zurück an die Schreibtische. Die Abendverpflegung der Geschäftsstellen-Mitarbeiter geht auf die 1950er Jahre zurück, als die ersten Kirchentage geplant wurden. Damals gab es nicht viele Imbisse, bei denen man sich noch um 19 Uhr ein Brötchen kaufen konnte. Die gemeinsame Zeit beim Abendessen ist wichtig für den Austausch, und so hat man die Tradition beibehalten. Damit nicht jede Abteilung und jedes Büro vor sich hin arbeitet, hängt im vierten Stock eine bronzene Glocke. Wer eine gute Nachricht hat, läutet, dann treffen sich alle und sprechen sich kurz ab.

Oliver Schöpe, 30, Vollbart und ausgestattet mit robuster Fröhlichkeit, geht an diesem Freitag nach dem Abendbrot nicht an den Schreibtisch zurück. Dutzende ehrenamtliche Helfer aus den Gemeinden sind ins Casino gekommen, um sich von ihm zu „Quartiersmeistern“ schulen zu lassen. Denn der Kirchentag bemüht sich, zusammen mit den jeweiligen Städten für mehr als die Hälfte der Teilnehmer Übernachtungsmöglichkeiten in Schulen und bei Privatleuten bereitzustellen.

Bevor die Schulung losgeht, greift Oliver Schöpe zur Gitarre. Wer schon öfter bei einem Kirchentag war, weiß: Alles beginnt mit einem Lied. „Du bist ein Gott, der mich anschaut“, kommt es noch etwas zögerlich aus den Kehlen.

Quartiersmeister zu sein, ist nichts für Nervenschwache. Die Ehrenamtlichen lassen sich von den Hausmeistern der Schulen die Schlüssel und Zuständigkeit für vier Tage übertragen, sie müssen Nachtwachen und Weckdienste organisieren und für hunderte Menschen Frühstück vorbereiten. Sie müssen jeden Winkel der Schulen kennen, wissen, wie viele Duschen und Toiletten zur Verfügung stehen, wie der Brandschutz funktioniert und wo sie Hilfe holen, wenn die automatische Türöffnung versagt. Nichts soll dem Zufall und dem Heiligen Geist überlassen bleiben. „Und bitte, bitte verliert die Schlüssel nicht“, mahnt Schöpe. Beim Kirchentag in Hamburg vor vier Jahren habe man gemerkt, wie teuer eine Schließanlage einer Schule ist. „Zum Glück gibt's in meiner Gemeinde viele Helfer“, sagt eine 20-Jährige. Ihr ist etwas mulmig geworden angesichts der großen Verantwortung, die auf sie zukommt.

In vielen Gemeinden werden noch Helfer gesucht. Das Engagement der Berliner für das Großereignis halte sich noch in Grenzen, sagt Schöpe. Es sind auch erst 3500 private Betten für die Teilnehmer gefunden. 11 500 fehlen noch. Thomas Ebert verliert da langsam den Optimismus. Er ist 49, rundlich und nie um einen Scherz verlegen. Er sitzt seit vielen Jahren in der Lukas-Gemeinde in Steglitz im Gemeindekirchenrat, leitet die Theatergruppe, begleitet die Konfirmanden auf Reisen, jetzt ist er der Beauftragte für den Kirchentag. Seit einem Jahr fragt er sich mit wachsender Ratlosigkeit: „Wie komme ich an Leute ran?“ Er hat Werbung gemacht, im Gemeindebrief informiert, Plakate gestaltet, vom Bläserkreis über die Töpfergruppe bis zur evangelischen Arbeitnehmerschaft alle angesprochen. Im Weihnachtsgottesdienst hat sich Ebert sogar mit Nachthemd und Köfferchen vor 700 Leute gestellt und für die Privatquartiere geworben. „Ich bin mir ja für nichts zu schade, wenn es der guten Sache dient“, sagt er. Im Januar hat er sich sonntags sogar vor dem Gottesdienst mit Nachthemd und Zipfelmütze vor der Kirche in ein Bett gelegt. „Aber es läuft schleppend.“ Offenbar sähen die Leute die Kirche als Dienstleister. Aber Ebert versteht Christsein anders: „Gemeinde heißt Gemeinschaft und Mitwirken.“ An der Kanzel in der Lukas-Kirche stehe das Motto: „Sei Täter des Wortes, nicht Hörer allein.“ Ebert setzt nun alle Hoffnung auf den 24. März. Da lädt er zum großen Infoabend in den Gemeindesaal. Die Power-Point-Präsentation ist fertig, die Scherze sind eingeübt.

Und so viel steht fest: Eberts Gemeinde will beim „Abend der Begegnung“ mitmachen, wenn sich die Landeskirche mit einem Straßenfest am Brandenburger Tor und auf dem Gendarmenmarkt vorstellt. In den Tagen danach wird es in Eberts Gemeinde Konzerte, Theateraufführungen, Feierabendmahle und Gute-Nacht-Cafés geben. Auch zwei Schulen mit Übernachtungsgästen sind zu betreuen. 100 ehrenamtliche Helfer will Thomas Ebert dafür finden. Das ist sein großes Ziel. Sollte es nicht gelingen, an ihm liegt es nicht.

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