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Musiklehrer Schmidt brachte den Steinway ans Ossietzky-Gymnasium.

© Tobias Wiethoff

Konzert in Pankow: Der Wille verleiht Flügel

Das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium hat in seiner Aula einen Steinway, den es sonst nur in internationalen Konzerthäusern gibt - und kann damit bekannte Künstler nach Pankow locken.

Die Aula des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums ist ein Schmuckstück. Mit der Holzvertäfelung an den Wänden, der historistischen Kassettendecke und dem Parkettboden ähnelt sie mehr einem Konzertsaal als einem schulischen Versammlungsort. Neuerdings verfügt sie auch über ein Requisit, das Konzertsälen gemeinhin eigen ist: einen Flügel.

King Size für die Aula

Das allein wäre noch nicht ungewöhnlich: In den meisten Schulen gammelt in irgendeiner Ecke ein Tasteninstrument vor sich hin, selten gespielt und entsprechend verstimmt. Der Flügel des Gymnasiums in der Pankower Görschstraße ist anders: nicht irgendein Flügel, sondern ein Steinway, nicht irgendein Steinway, sondern ein sogenanntes D-Modell in King-Size-Größe, wie es in der Mehrzahl der internationalen Konzerthäuser zum Einsatz kommt, unterbrochen nur hier und da von einem Bechstein oder Bösendorfer. „Dieses Modell hat sonst keine Berliner Schule“, weiß Martin Schmidt, Fachbereichsleiter Musik. Dem 58-jährigen Pädagogen mit dem imposanten Rauschebart ist das Husarenstück gelungen, Politik und Schulbürokratie in Zeiten notorisch klammer Kassen von der Anschaffung des vermeintlichen Luxusobjekts zu überzeugen.

 Konzerte rund um den Steinway

An diesem feuchten Januarabend kann Schmidt die Ernte seines Einsatzes einfahren: Publikum strömt in die Aula, um einem der inzwischen regelmäßig stattfindenden „Konzerte rund um den Steinway“ beizuwohnen. Der Pianist Peter Degenhardt, ein alter Bekannter Schmidts von der Kölner Musikhochschule, ist eigens nach Berlin gekommen, um seinen ehemaligen Schüler in seinem Engagement zu unterstützen.

 

Unter den drei amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, die auf dem Programm stehen, sticht nur George Gershwin als hinlänglich gefällig hervor. Von Aaron Copland und George Crumb lässt sich das kaum behaupten. Ein Konzert mit pädagogischem Mehrwert also und dem Bildungsauftrag eines Gymnasiums durchaus angemessen. Die Zuhörer, rekrutiert noch vor allem aus Schülern, Eltern und Lehrern, lauschen dennoch gebannt. Dabei mag die kunstsinnige Ausrichtung des Gymnasiums eine Rolle spielen – rund ein Drittel der Schüler spielen selbst ein Instrument. Aber selbst musikalisch weniger Begabten muss sich mitteilen, wie prächtig dieser Steinway klingt: brillant und bei allem Volumen stets transparent und durchscheinend. Die Akustik der Aula zeigt sich der Klangwucht des 2,74 Meter langen Prachtstücks bestens gewachsen. Das ist Dämmmatten an den Wänden zu verdanken, die lange vor dem Erwerb bei einer Renovierung angebracht wurden.

Ein hartnäckiger Lehrer

Martin Schmidt sitzt in der ersten Reihe und filmt Degenhardts Darbietung mit seinem Camcorder. Er kann den Abend getrost als Bestätigung seiner Hartnäckigkeit werten. Seine Schüler kommen abseits des regulären Musikunterrichts mit künstlerischer Exzellenz in Berührung. Gleichzeitig kann die Schule ihren Anspruch dokumentieren, Musikunterricht auf höchstem Niveau zu bieten. Vor zwei Jahren war die Lage eine vollständig andere: Das Gymnasium verfügte über gar keinen Flügel mehr, seit der letzte aus Altersschwäche ausgemistet worden war, ein unhaltbarer Zustand für ein Gymnasium mit Leistungskurs Musik.

 Ein echtes Schnäppchen

Fachbereichsleiter Schmidt schickte sich an, Abhilfe zu schaffen und stieß bei einem Klavierhändler in der Prenzlauer Allee auf den Steinway: rund 50 Jahre, aber generalüberholt und fit wie am ersten Tag. „Nachdem ich das erste Mal darauf gespielt habe, bin ich wie in Trance wieder aufgestanden“, erinnert er sich. „Es war, als hätte ich noch nie Klavier gespielt.“ Das Schönste: Der Steinway war ein Schnäppchen, jedenfalls relativ. Statt des Neupreises von 140.000 Euro rief der Händler trotz des makellosen Zustands nicht einmal die Hälfte auf. Martin Schmidt überschlug, dass ein Steinway locker 100 Jahre hält und dass auch brauchbare fernöstliche Instrumente mittlere fünfstellige Summen verschlingen.

 Politik im Zangengriff

Schuldirektor Bernd Schönenberger überzeugte Schmidt schnell, dass man das Unmögliche wagen sollte. Die ungleich größere Hürde bildete die Politik, die selbst die Hälfte von 140.000 Euro kaum als Schnäppchen werten würde, wenn es in anderen Schulen gleichzeitig am Nötigsten fehlt. Schmidt ließ sich von dieser Aussicht nicht entmutigen und begann seinen Zangenangriff auf die Institutionen: „Ich bin bis in Wowereits Vorzimmer gegangen und habe alle Fraktionsvorsitzenden der Pankower Bezirksverordnetenversammlung angeschrieben“, erzählt er.

 Schüler dürfen nur unter Aufsicht spielen

Als es irgendwann nicht weiterzugehen schien, untermauerte er seine Entschlossenheit, indem er sich privat um einen Kredit kümmerte. Das schien den Bezirk zu überzeugen, auch wenn von diesem Angebot letztlich kein Gebrauch gemacht wurde. Der Klavierhändler ließ noch ein bisschen Geld nach, die Elternschaft schoss 8000 Euro zu, und den noch immer nicht unerheblichen Rest stottert die Schule nun ab, indem die Überweisungen des Bezirks entsprechend gekürzt werden. „Man muss den Willen haben und für seine Ziele kämpfen“, so Martin Schmidts Credo, und auch das ist eine Lektion, die sich den Schülern trefflich weitervermitteln lässt. Diese dürfen übrigens selbst auch auf dem Steinway üben, allerdings nur nach Anmeldung und in Begleitung eines Lehrers.

 Konzertreihe geplant

Inzwischen ist der Steinway rund anderthalb Jahre im Besitz des Carl-von-Ossietzky-Gymnasiums. Die Konzertreihe ist erst mit dem aktuellen Schuljahr richtig angelaufen, soll in Zukunft noch weiter ausgebaut werden und Wirkung über den Freundeskreis der Schule hinaus entfalten. Mit einem solchen Flügel könne er Künstler jeder Facon an die Schule locken, ist sich Musiklehrer Schmidt sicher. Und wo sonst in Pankow kann man schon einen Steinway in Konzertgröße bewundern? Das unweit gelegene Pankower Rathaus hat zwar etwa zeitgleich für seine Konzertreihe „Pankow beflügeln“ ebenfalls einen Steinway angeschafft, aber der zählt zur Modellreihe B, misst mehr als einen halben Meter weniger und ist damit kaum satisfaktionsfähig.

Tobias Wiethoff

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