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Unsere Autorin bloggt auch als „Frau-Mutter“. Der Zehlendorf Blog kooperiert mit www.Frau-Mutter.com

© Anne Kreuz

Die Helikopter-Eltern aus Zehlendorf: Kinderchen, lasst Euch doch fördern!

"Du, die Jungs sind draußen und machen Klingelscherze..." Niemals dürften Eltern in Zehlendorf so pädagogisch ignorant reden. Sie passen lieber auf: Auf dass alle Kinderlein hübsch betreut sind und gefördert. Unsere Bloggerin hat sich den Spiegel vorgehalten.

Ein beliebter Landeplatz für Helikopter-Eltern ist Berlin-Zehlendorf, ein bürgerlicher, arrivierter Stadtteil. Hauptsächlich der Kinder wegen sind wir ins Grüne gezogen und verplanen ihre Freizeit doch mit pädagogisch wertvollen Indoor-Aktivitäten.

"Gestern hat es ja so geregnet, da haben wir alle 'Star Wars' geschaut. Teil 1-3." Das ist kein geeigneter Small-Talk für den Elternabend.

“Du, die Jungs sind draußen und machen Klingelscherze, aber wo weiß ich gerade nicht.”

Dieses Kind wird fortan nicht mehr zu Besuch kommen.

Zehlendorf! Meine Kinder sollen es doch mal besser haben als ich in den Achtzigern in der rheinland-pfälzischen Pampa. Ich fuhr jeden Tag mit einem alten Klapprad ohne funktionierende Beleuchtung zur Schule, der Fahrradhelm war noch nicht erfunden. Als pädagogisch wertvolle Freizeitaktivität war das Höchste der Gefühle die wöchentliche Karnevals- Showtanzgruppe im Sportverein. Meistens verbrachte ich die Nachmittage jedoch bei der besten Freundin, deren Vater Winzer und dauer-alkoholisiert war.  Für meine Eltern völlig ok.

MAYDAY! Mein Sohn will nicht gefördert werden.

Die Zehlendorfer Kindheit meines Sohnes und seiner Freunde sieht ganz anders aus. Baby-Schwimmen, Sing-Gruppe auf Englisch für U3s, Musikgarten, Sommer-Camp bei Hertha 03, Chor, diverse AGs schon in der Grundschule. Ich chauffiere ihn natürlich zu allen Aktivitäten mit dem Mama-Taxi, um seine Talente schon früh zu fördern. Mein Sohn ist mit seinen sieben Jahren durchaus des Laufens mächtig, aber die 15 Minuten Fußweg zur Schule fahren wir lieber.

Es gibt nur ein Problem. Mein Sohn will das alles gar nicht. Jegliche (Früh-)Förderung lehnt er strikt ab. Herzzerreißendes Weinen schon im Baby-Schwimm-Kurs. Mutwilliges Zerstören der Instrumente in der Musikschule, und bei Hertha wechselt er sich immer selbst ein. Vom Spielfeld zurück auf die Reservebank. So wird kein Günter Netzer aus ihm!

Mayday, Mayday. Wir müssen unsere Kinder retten! Ähm, oder vielleicht doch nicht?
Mayday, Mayday. Wir müssen unsere Kinder retten! Ähm, oder vielleicht doch nicht?

© dpa

"Aber die Lena ist bei den “Zehlendorfer Wespen”, willst Du nicht auch mal...?”

“Und der Maximilian hat gerade eine gaaanz tolle neue Hockey-Ausrüstung bekommen”?

“Und, mein Gott, die Charlott spielt schon Fagott!”

“Och, nö. Ich gehe jetzt raus spielen. Paul will mir sein neues Messer zeigen und dann stromern wir noch rum.”

Wie bitte? Was? Messer? Rumstromern? Ich stelle die Rotoren meines Mama-Helis auf Turbo-Modus.

Lernt man denn da was? Bereitet klettern auf einen guten Job vor? Der Paul erzählt doch nur wieder von Druiden und seinem neuen Handy. Ich verwandele mich in einen ADAC-Hubschrauber, um mögliche pädagogische Karambolagen  zu verhindern. “Könnt Ihr beim Klettern dann bitte “Verliebte Zahlen” üben und Euch wenigstens auf Englisch die Pupswitze erzählen?”

“Nöhö, wir bauen jetzt eine Mausefalle, hast Du Käse da?”

MAYDAY! Mein Sohn ist unbeaufsichtigt!

Neulich waren wir bei Freunden. Plötzlich wollten die Kinder einen “Nachtspaziergang” machen: also um 18 Uhr zehn Minuten um den Block gehen. Die befreundeten Eltern sind entspannter als ich und erlaubten das. Leicht beunruhigt willigte ich ein, man will ja nicht spießig sein. Ich kann mich ja zur Not in den gelben Rettungshubschrauber verwandeln, kein Problem. Nach 11, 5 Minuten waren die Kinder noch immer verschollen. Nach 13 Minuten ergriff mich  die mütterliche Panik und ich ging direkt in den “Kampfhubschrauber-Modus” über.

“Sohn, halte noch ein paar Minuten durch, Mama kommt! Luftunterstützung ist angefordert!”

Ich sprang in meinen Volvo alias  “Apache”, während unsere Freunde verwundert schauten. Könnte man nicht auch zu Fuß gehen und suchen? Sie kommen doch sowieso bestimmt bald? “NEEEIN, es ist doch allgemein bekannt, dass die Breisgauer- Ecke Kaiserstuhlstrasse schwer umkämpftes Gelände ist!! All die Partisanen - Eichhörnchen und die Freischärler -Feuerkäfer!” Wir müssen SOFORT evakuieren!”

Hektisch “flog” ich die Breisgauer Straße entlang, ein von parkenden Fahrzeugen schwer verbarrikadiertes Gebiet, als ich plötzlich meinen Sohn und seine Freundin sah.

“Wo um Gottes Willen wart Ihr und warum habt Ihr keine Meldung gemacht?!?”

Wir haben noch den Tim besucht und ihm kurz gute Besserung gewünscht, der war doch die ganze Woche krank.”

Die Evakuierung der Vermissten dauerte genau 20 Minuten. ROGER. Und  mein Sohn hat seine “soft skills” weiterentwickelt. Zukünftiger guter Job wird wahrscheinlicher. Doppelt ROGER.

Unsere Autorin bloggt regelmäßig unter www.frau-mutter.com, sie wohnt in Zehlendorf und schreibt niemals ironiefreie Texte. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Nina Massek

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