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Von Tag zu Tag: Bonsai-Postamt

Christian van Lessen ist vom neuen Service noch nicht völlig überzeugt

Es hat was Rührendes, das altgewohnte Postamt. Schon die Warteschlange, die meist kurz vorm Eingang endet, verspricht für die Dauer von mindestens 10 oder 20 Minuten unterhaltsame menschliche Kontakte. Gemeinsames Schimpfen verbindet, lässt Freundschaften entstehen. Oder kurze Feindschaften, wenn sich jemand vorzudrängeln versucht. Dann kommt der stets mit Spannung ersehnte Moment, in dem der Schaltermensch offenbart, welcher Laune er ist, die Briefmarke zu verkaufen, die der Automat vorm Postamt nicht ausspucken will. Mitunter entwickeln sich dabei anregende Unterhaltungen, hin und wieder auch richtige Streitgespräche. Nun hat die Post tatsächlich am Bahnhof Südkreuz modellhaft ihre erste „Serviceinsel“ eröffnet, will sogar weitere 30 dieser seelenlosen Kästen installieren: Sie sind Geldautomat, Kontodrucker, Packstation, Briefkasten und Briefmarkenautomat zugleich. Wie langweilig: ein Bonsai-Postamt ohne Bevölkerung und Beschwerdeschlitz. Was ist, wenn auch dessen Automat keine Briefmarken ausspuckt? Sind wir wirklich reif für die gelbe Insel? Warten und Schimpfen im richtigen Postamt – ist reizvoller.

Christian van Lessen

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