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Dominique Horwitz ist ein deutsch-französischer Schauspieler, Sänger und Schriftsteller.

© Mike Wolff

Tipi am Kanzleramt: „Brel war ein Sänger, der ohne doppelten Boden auf die Bühne ging“

Dominique Horwitz steht dem belgischen Chansonnier Jacques Brel nahe wie kaum ein anderer Interpret. Im Mai gastiert er mit einem Jubiläumsprogramm in Berlin.

Er ist der Mann ohne Hobbys. „Boxen, Reiten, Motorradfahren – das Glück, das Erlebte nicht sofort wieder in Output verwandeln zu müssen - ich vermisse das schmerzlich“, sagt Dominique Horwitz. Allein, stets fehle ihm die Zeit, seufzt der 61-Jährige und blickt mit seinen braun-grünen Augen nachdenklich über die blühenden Bäume hin zum Kanzleramt. Der Theater-, Film- und Fernsehschauspieler, Sänger, Regisseur und Schriftsteller ist an diesem warmen Frühlingstag nach Berlin gekommen, um über Jacques Brel zu sprechen. Am heutigen Montag wäre der 1978 verstorbene belgische Chansonnier 90 Jahre alt geworden. Ab 7. Mai gastiert Horwitz mit einem Jubiläumsprogramm im Tipi am Kanzleramt.

Hunderte von Brel-Auftritten hat Horwitz in den vergangenen 35 Jahren gegeben. Der französischsprachige Sänger Brel, der für seine expressiven Vorträge bekannt war, steht Horwitz nahe wie kein zweiter Künstler. „Brel war ein Sänger, der ohne doppelten Boden auf die Bühne ging“, sagt Horwitz und beißt in dem weißen Zelt in Spree-Nähe herzhaft in ein Croissant.

Er habe noch keine Zeit zu frühstücken gehabt, entschuldigt er sich lächelnd – es ist früher Nachmittag. „Brel hatte keine Scheu, leidenschaftlich oder hässlich und manchmal auch verzweifelt zu sein“, sagt Horwitz mit seiner sonoren Stimme. Er sei aber auch lustig und lebensbejahend gewesen – eben voller Facetten wie das Leben selbst.

Brel, der zahlreiche Liebesbeziehungen führte, beschreibt in seinen Chansons häufig den Widerstreit zwischen den Geschlechtern, aber auch Kindheit, Tod und Gesellschaftskritik sind immer wiederkehrende Themen. „Bereits als Kind habe ich seine Chansons im Radio und Fernsehen gehört“, erzählt Horwitz. Rund 20 Chansons wird er im Tipi präsentieren, fünf davon sind posthum veröffentlichte, die Brel selbst nie vorgetragen hat. Und wie Brel macht auch Horwitz nicht vor dem Ausdruck starker menschlicher Gefühle halt, vor Hässlichkeit und seelischer Entblößung. „Der Weg auf die Bühne ist ein egomanischer. Als Schauspieler will ich das eigene Wesen offenbaren“, verrät Horwitz. Wenn daraus ein Geschenk für die anderen, das Publikum, würde, sei dieser Weg ein Segen.

Clownerie als Schlüssel zur Beliebtheit

Brel soll in der Schule ein Spaßmacher gewesen sein. Einer, der sein mit gängigen Schönheitsidealen wenig einhergehendes Äußeres durch das Lachen seiner Klassenkameraden transformieren konnte: Clownerie als Schlüssel zur Beliebtheit und zugleich als Möglichkeit, von den Nöten und Sehnsüchten der eigenen Seele zu erzählen.

Wie war denn Horwitz in der Schule? „Ebenfalls ein Klassenclown“, sagt er und schmunzelt. Jungenhafter Witz und nachdenkliche Ernsthaftigkeit liegen bei ihm nah beieinander. Kommt ihm eine Frage zu psychologisierend daher, wirft Horwitz sich schon mal lachend der Länge nach auf die Sitzbank aus schwarzem Leder, als sei er beim Analytiker. Um im nächsten Moment Sätze wie diese zu äußern: „Die Beziehung zwischen Publikum und Schauspieler basiert auf Nehmen. Anders ist es mit den Liebsten. Ihnen möchte man Freude bereiten.“

1971 kam Horwitz als 14-Jähriger mit seinen jüdischen Eltern, die vor dem Nationalsozialismus nach Frankreich geflohen waren, von Paris nach Berlin und besuchte hier das Französische Gymnasium, zunächst in Wedding, dann nach dem Umzug der Schule in Tiergarten.

Seine erste eigene Bude hatte er in der Kamminer Straße mit dem in Tegel geborenen Schauspieler Christian Berkel, der heute sein ältester Freund ist. Und auch wenn Horwitz aus Liebe zu seiner zweiten Frau vor 15 Jahren Weimar zur steten Wohnstätte gemacht hat – das Wort „Heimat“ mag der Zugvogel nicht –, ist er aus beruflichen Gründen häufig in Berlin. Ende 2020 spielt er hier am Renaissance-Theater den Jean in August Strindbergs „Fräulein Julie“.

Gibt es etwas, was er in Berlin regelmäßig unternimmt? Horwitz überlegt. Dann leuchtet ein breites Lächeln über dem roten Strickpullover. „Wirklich jedes Mal, wenn ich in Berlin bin, gehe ich zu ‚Ali Baba' und nehme mir zwei Stücke Pizza mit“, erzählt er. Er habe Anfang der 1970er-Jahre zu den ersten Kunden der Pizzeria in der Bleibtreustraße gehört. Damals wohnte Horwitz mit seiner ersten Freundin gleich um die Ecke, in der Mommsenstraße 66.

Seit vier Monaten ist Horwitz Großvater. Stolz zeigt er auf dem Handy das Foto eines glücklich lächelnden Mädchens. Brel hat sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere von allem zurückgezogen und Zuflucht auf der polynesischen Insel Hiva Oa gesucht. Wäre das für Horwitz, der sich nach Zeit sehnt, um endlich wieder seinen Hobbys nachgehen zu können, auch eine Option?

„Brel hatte manchmal über 300 Auftritte im Jahr. Wenn man Tausende Male ‚Ne me quitte pas' gesungen hat, ist man irgendwann leergespielt“, sagt Horwitz. Das sei bei ihm durch die Vielzahl seiner Projekte – in Kürze steht unter anderem ein Jazz-Abend zum 200. Geburtstag von Jacques Offenbach in Köln an – zum Glück nicht der Fall. Aber natürlich, die einsame Insel, die Ruhe, danach sehne auch er sich manchmal. Deshalb geht es im Sommer mit Ehefrau Anna erst mal auf der Tourenmaschine nach Italien. So viel Zeit muss sein.

Tipi am Kanzleramt. 7.-12. Mai und 1.-6. Oktober. Tickets im VVK ab 32 Euro, erm. ab 12,50 Euro. www.tipi-am-kanzleramt.de

Eva Steiner

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