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Auf dem Erdboden. Das Material für die Aufführung fand der Regisseur auf der Grünen Woche: Wandlitzer Bioerde. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Christoph Hagel inszeniert die Johannespassion: Fünf Tonnen Erde für Jesus Christus

Etwas Staub liegt in der Luft, es riecht ein wenig sonderbar. Irgendwas ist hier anders. Der intensive Geruch nach Möbelpolitur und Kerzenwachs im Berliner Dom ist weg, stattdessen riecht es eher nach Gewächshaus, oder Garten, etwas modrig jedenfalls, sehr ungewohnt für ein Gotteshaus.

Nicht verwunderlich jedoch, da hier seit zwei Wochen etwa fünf Tonnen Erde herumliegen.

Verantwortlich dafür ist der Dirigent und Opernregisseur Christoph Hagel, und der hat bekanntlich einen Hang zum Sonderbaren. Für Uwe Lockner ist das inzwischen Alltag. „Seit vielen Jahren arbeite ich nun mit Christoph Hagel zusammen, da sind fünf Tonnen Erde für die Bühnengestaltung nichts Aufregendes mehr.“ Lockner ist der technische Leiter für die Produktion der Johannespassion, die am morgigen Donnerstag Premiere feiert. Insgesamt wird es 22 Aufführungen geben, alle im Dom, alle auf Erde.

Aufgeschüttet liegt sie da, auf der Bühne vor dem Altar, Schauspieler, Tänzer und Sänger – 21 an der Zahl – suhlen sich auf ihr. Klar, dass dabei nicht alles adäquat liegen bleibt. Zumindest, wenn die Erde nicht regelmäßig bewässert wird, was jedoch dem künstlerischen Treiben auf der Bühne schaden würde. So bleibt die Erde trocken – und die Orgel stöhnt. „Dieses empfindliche Instrument ist unser größtes Problem“, sagt Lockner. „Wir versuchen alles zu unternehmen, dass die Orgel nicht unter der Staubbelastung in der Luft leidet.“ Und die vielen kleinen Kunstwerke im Dom am besten auch nicht. Um das Gröbste der Innenausstattung vor der Erde zu schützen, haben die Opernmacher einen großen Teppich unter der Bühne verlegt, die ungefähr zwölf mal sieben Meter misst. Wenn sie steht, dauert es circa acht Stunden, die Erde auf ihr zu verteilen. „Und dann muss man bedenken, dass bei jeder Probe und bei jeder Aufführung etwas Erde im Wind verweht.“ 15 bis 25 Liter um genau zu sein. Das muss nachgeschüttet werden.

Seit fast zwei Wochen probt das Team schon im Gotteshaus am Lustgarten, davor sind sie in Pankow untergekommen. „Die Verantwortlichen des Doms sind schon sehr kulant, aber länger als zwei Wochen können wir den Betrieb nicht mit unseren täglichen Proben belasten“, sagt Lockner. Obwohl regelmäßig gestaubsaugt wird. Immerhin musste der Domprediger seinen Stammplatz hergeben. Jetzt steht er hinter der Bühne und blickt mit größerem Abstand auf seine Gemeinde.

Es ist ein Wagnis, solch eine Aufführung in einem denkmalgeschützten Bauwerk zu präsentieren. Aber wo sonst würde die Johannespassion zur Fastenzeit so gut zur Geltung kommen wie im Dom? Nirgendwo. Deshalb auch die Erde. „Jesus hat sich selbst am Kreuzweg abgearbeitet. Alles muss staubig, erdig – dreckig gewesen sein. Wir wollten die Unvollkommenheit dieses letzten Weges darstellen“, erklärt der Technikchef. Letztendlich sei es doch ein ewiger Kreislauf. „Asche zu Asche, Staub zu Staub“, murmelt er. „Irgendwann werden wir alle wieder eins.“ Erde sei dafür ein Synonym. Und pragmatischer als zum Beispiel Torf oder Kies. Ersteres sei zu staubig, Letzteres zu schmerzhaft für die Darsteller. Die Crew um Hagel hat so einiges ausprobiert und viel recherchiert. Bis die Grüne Woche zur Lösung verhalf. Dort ist Lockner fündig geworden. Wandlitzer Bioerde sollte es sein. Seine Augen leuchten: „Ich habe sie angefasst und mich verliebt. Sie fühlt sich gut an, sie sieht fantastisch aus, und sie riecht besonders.“

Man merkt, hier geht es um Ästhetik! Auch Hagel misst dem Element ordentlich Bedeutung bei. „Damals vor 2000 Jahren war der König der Juden noch einer aus dem Volk. Er ist auf der gleichen Erde gewandert wie alle anderen auch.“

Bei so viel Euphorie für Erde wundert es fast, dass sie ziemlich pragmatisch in das Gotteshaus gelangt ist. Lockner nennt es profan: „Sack für Sack, einer nach dem anderen.“ Ein Teil der Edelerde war noch in 20-Liter-Säcke abgefüllt, das meiste aber musste den Weg in den heiligen Dom in Ikea-Tüten bestreiten. Irgendwie unromantisch. Der Plan bisher klingt logisch, aber was genau passiert mit der Erde, wenn die Scheinwerfer erloschen sind? Vorausgesetzt, sie ist nicht in der Orgelflöte gelandet. Lockner schmunzelt. „Wissen Sie, jeder von uns hat einen Garten zu Hause.“ Auf einmal scheinen fünf Tonnen nicht mehr so viel sein.

Nach der Premiere am Donnerstag wird die Johannespassion im Dom, am Lustgarten, Mitte, bis zum 24. März jeweils Freitag bis Sonntag um 20.15 Uhr aufgeführt. Außerdem am 26. und 27. März (20.15 Uhr) und am 28. und 29. März (17 Uhr). Mehr Infos unter: www.johannespassion-im-dom.de.

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