zum Hauptinhalt
Wohnhäuser links, Institute rechts: In der Dahlemer Villenlandschaft kaum voneinander zu unterscheiden.

© Marius Mestermann

Dahlem und die FU: „Da habe ich das Gefühl, ich bin in Mitte“

In Dahlem treffen zwei Welten aufeinander. Studierende und Anwohner*innen teilen sich hier ein Viertel im Südwesten Berlins. Kann das gutgehen? Porträt eines ungewöhnlichen Kiezes.

Unsere Doppelseite aus dem Berliner Südwesten, die immer am ersten Freitag im Monat erscheint, wurde für diesen Beitrag von Studierenden des Campusmagazins „Furios“ der Freien Universität übernommen.

Sie sind spät dran. Aus der einfahrenden U3 quillt eine müde dreinblickende Masse aus Studierenden, endlich erlöst von dem Gedränge in der U-Bahn, in dem einem häufig fast die Luft wegbleibt. Einige sprinten zum Fahrstuhl, um später etwas Fußweg zu sparen, doch dort hat sich bereits eine Traube aus wartenden Lauffaulen gebildet. Der Großteil der Menschenmasse schiebt sich jedoch drängelnd Richtung Ausgang und stolpert die steile, dunkle Treppe nach oben. Zeitgleich erreicht ein Bus der Linie X83 den U-Bahnhof Dahlem-Dorf und spuckt diejenigen aus, deren Weg zur Uni die U3 nicht kreuzt.

Nur wenige Studierende wohnen in direkter Nähe zum Campus, sei es aus Mangel an entsprechendem Wohnraum (wo auch bei all den Villen!) oder weil andere Bezirke ihnen attraktiver erscheinen. Sie reisen täglich weit an, Fahrtwege von über einer Stunde sind keine Seltenheit. Und so füllt sich der sonst beschauliche Vorplatz zum Freilichtmuseum Domäne Dahlem jeden Morgen mit Studierenden aus allen Berliner Bezirken. Ein paar holen sich noch schnell ihr Frühstück in einem der Cafés rundherum, doch die meisten strömen direkt in Richtung ihrer Hörsäle und Institute.

Denn die Zeit drängt: Es ist bereits kurz vor zehn und vom U-Bahnhof bis in die Räume der Rost- und Silberlaube haben die Studierenden der Freien Universität (FU) noch ein ganzes Stück zurückzulegen. So sieht man sie hastig durch die kleinen Straßen, vorbei an den Villen und Instituten ziehen, immer bemüht, nicht später am Ziel anzukommen, als es ihnen die akademische Viertelstunde erlaubt. Ihr Hauptziel, der Laubenkomplex an der HabelschwerdterAllee, beherbergt einen Großteil der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer, hier finden sich neben Hörsälen und Seminarräumen auch zwei Bibliotheken sowie die größte Mensa der FU.

Selbst die BVG richtet sich nach den Gezeiten der Uni

Etwa sieben bis acht Monate im Jahr zeichnet der akademische Kalender das Stadtbild im Ortsteil Dahlem. Dann ist Vorlesungszeit und die Studierendenwanderungen haben Hochsaison. Selbst die BVG richtet sich nach den Gezeiten der Uni: Semesterferien bedeuten, gerade in jüngerer Zeit, häufig Schienenersatzverkehr nach Dahlem. Denn dann finden, in Abstimmung mit dem akademischen Terminplan, häufig umfangreiche Baumaßnahmen statt, zum Beispiel der Einbau von Fahrstühlen in die U-Bahnhöfe Podbielskiallee, Freie Universität (Thielplatz) und Oskar-Helene-Heim – auch in Dahlem hält der technische Fortschritt inzwischen Einzug.

Doch selbst in der vorlesungsfreien Zeit bevölkern die studentischen Pendler*innen die Straßen Dahlems im Takt der U-Bahn. Schließlich wollen Hausarbeiten geschrieben und Bibliothekssitze gewärmt werden. Die anderen Bewohner*innen Dahlems haben sich längst an diesen Anblick in ihrem Campuskiez gewöhnt. „Es gibt eben Stoßzeiten, wenn auf der Straße etwas mehr los ist“, meint eine Anwohnerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Vor fünf Jahren sei sie aus beruflichen Gründen mit ihrer Familie in den Bezirk gezogen. Dass sich ihr Haus inmitten eines Campus, zwischen Instituten und Forschungseinrichtungen befindet, erwähnte ihr Immobilienmakler damals nicht. Ein böses Erwachen war es für sie dennoch nicht, ganz im Gegenteil: „Dass die Uni hier ist, ist doch herrlich. Stell dir mal vor, wir hätten die Studierenden hier nicht. Die bringen Leben. Da habe ich das Gefühl, ich bin in Mitte und nicht in Dahlem“, schwärmt sie.

Knapp 38.000 Studierende sorgen tagsüber für ein belebtes Stadtbild in einem der kleinsten Ortsteile des südwestlichen Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Hinzu kommen rund 4400 Doktorand*innen, Lehrende sowie weitere Beschäftigte der Universität, etwa Verwaltungspersonal. Damit hat die FU mehr als doppelt so viele Angehörige wie Dahlem Einwohner*innen. „Ich habe mir schon überlegt, ob ich mir einen Hamburger-Wagen in den Vorgarten stelle. Das wäre bestimmt keine schlechte Geschäftsidee“, scherzt die Anwohnerin, deren Wohnhaus an einer der beliebtesten Routen zwischen dem U-Bahnhof Dahlem-Dorf und der Rost- und Silberlaube liegt. Auch von Nachbar*innen und Freund*innen habe sie noch nie etwas Negatives gehört: „Außer es stehen mal wieder fünfzig Leute vor dem U-Bahn-Aufzug, aber dann nimmt man eben die Treppe.“ Auch dass es international sei und man in den Straßen und Cafés verschiedene Sprachen wie Englisch oder Spanisch höre, gefalle ihr. Faktisch kommen etwa 20 Prozent der Studierenden aus demAusland, bei den Doktorand*innen ist es sogar ein Drittel.

Ganz schön harmonisch, dieses Dahlem

Doch der beschauliche, angenehm grüne Bereich zwischen Dahlem-Dorf und den Lauben ist nicht der einzige, in dem sich die zahlreichen FU-Angehörigen tummeln. Wenige hundert Meter weiter, am U-Bahnhof Freie Universität, bietet sich ein ähnliches Bild. Von hier strömen insbesondere Studierende der Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften zu ihren Vorlesungen im Henry-Ford-Bau oder Seminaren in den angrenzenden Instituten. Mitunter sind sie klar an ihrem Kleidungsstil zu erkennen – je nach Disziplin, versteht sich. Ganze fünf U-Bahn-Stationen befinden sich auf dem riesigen Campus vom Breitenbachplatz bis zur Station Oskar-Helene-Heim. Ein großer Teil der elf Fachbereiche und vier Zentralinstitute ist hier in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohnhäusern angesiedelt, oftmals sind die frei stehenden Villen dabei von den Instituten kaum zu unterscheiden (siehe auch Foto oben).

Seit der Gründung im Jahr 1948 nutzt die Universität ehemalige Gebäude der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, welche in den fünfziger Jahren vollständig von der Max-Planck-Gesellschaft, die ebenfalls Institute in Dahlem unterhält, übernommen wurde. Hinzu kommen zahlreiche universitäre Neubauten. Der Erhalt und Ausbau der Gebäude macht sich im Ortsteil Dahlem durchaus bemerkbar. Dementsprechend müssen Anwohner*innen des Öfteren mit Baustellen rechnen. So errichtet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bis 2023 ein neues Forschungsgebäude in der Takustraße. Auch sonst herrscht derzeit umfangreicher Sanierungsbedarf an der Universität mit Vorstadtflair, der durch finanzielle Mittel aus den im Januar mit dem Berliner Senat abgeschlossenen Hochschulverträgen gedeckt werden soll. Beschwerden oder gar Rechtsstreitigkeiten mit Anwohner*innen wegen Baumaßnahmen habe es in der Vergangenheit aber nicht gegeben, erklärt die Universität auf Anfrage. Ganz schön harmonisch, dieses Dahlem.

Unterstützung für Geflüchtete

Zuweilen sind Anwohner*innen und Studierende aber nicht die Einzigen, die den Campus bevölkern. Im Dezember 2014 bauten freiwillige Helfer*innen der Johanniter-Unfall-Hilfe im Auftrag des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) eine der FU-Turnhallen in der Königin-Luise-Straße in eine Notunterkunft um. Rund 200 Geflüchtete wurden hier vorübergehend untergebracht. Die Universität vermeldete damals eine große Hilfsbereitschaft seitens der Anwohner*innen, des Willkommensbündnises Steglitz-Zehlendorf und der evangelischen Kirchengemeinde in Dahlem. Eine Anwohnerin bestätigt: „Als ich dorthin kam, um Jacken zu bringen, waren bereits Berge an Spenden da.“ Zudem setzte sich die Sportmedizinerin Dr. Pia Skarabis-Querfeld aus Dahlem, trotz eingangs großer Hürden, für eine medizinische Versorgung und das Impfen der Geflüchteten ein, als bekannt wurde, dass eine erhöhte Gesundheitsgefahr durch den Ausbruch der Masern in Notunterkünften herrsche.

Auch seitens der Studierendenschaft kam Unterstützung für die in der Turnhalle untergebrachten Geflüchteten. Der damalige Studierendenvertreter im Akademischen Senat, Mathias Bartelt, drängte etwa darauf, den in der Turnhalle Untergebrachten einen W-Lan-Zugang bereitzustellen und Deutschkurse anzubieten.

Direkter Austausch ist allerdings selten

Ist der Campusstandort Dahlem also ein kleines Utopia am Rande Berlins, eine bunte, generationsübergreifende Gemeinschaft? Das vielleicht nicht, aber immerhin ein friedliches Nebeneinander zweier Universen, wenn man den Anwohner*innen Glauben schenkt. Denn trotz des gelegentlich gemeinsamen Engagements ist ein direkter Austausch zwischen den Dahlemer Bewohner*innen und der pendelnden Studierendenschaft selten. Das bestätigt Ulrike Schulze, die sich seit Kurzem in der Kirchengemeinde der Jesus-Christus-Kirche in der Hittorfstraße engagiert: „Die Studierenden gehören hier dazu, genau wie die Schulen und alles drum herum“, meint sie. Die Rentnerin wohnt seit mittlerweile elf Jahren in der Goßlerstraße, unweit der Hauptgebäude der FU. Ausschlaggebend für die Wahl ihres Wohnorts sei vor allem die Nähe zum Grünen mit den vielen Parks sowie die gute Anbindung an die Innenstadt gewesen. Die Nachbarschaftsverhältnisse unter den Anwohner*innen beschreibt sie jedoch eher als typisch anonym, wie auch sonst in der Großstadt: „Der Abstand zwischen den Häusern ist einfach zu groß. Aber man grüßt sich.“ Auf Uni-Angehörige treffe sie gelegentlich in den umliegenden Cafés, doch persönliche Kontakte mit Studierenden konnte sie dabei bisher noch nicht knüpfen.

Geschäfte und Cafés, in denen Studierende und Anwohner*innen sich direkt begegnen, sind insbesondere an den U-Bahnhöfen Oskar-Helene-Heim und Dahlem-Dorf, in unmittelbarer Umgebung der Uni-Einrichtungen, angesiedelt. Neben einigen Imbissen und einer Bank befinden sich an der Station Dahlem-Dorf eine Buchhandlung und ein Copyshop, der von Studierenden häufig zu Beginn des Semesters angesteuert wird, um dort hinterlegte Vorlesungsskripte zu erwerben. Neben der kulinarischen Versorgung hat man sich hier also auch auf weitere Bedürfnisse der Studierendenschaft eingestellt.

Auf einen Kaffee mit Studierenden

Dass die gemeinsamen Einkaufsmöglichkeiten ein Kennenlernen durchaus ermöglichen, zeigt sich im Kornfeld Café, das in direkter Nähe zum John-F.-Kennedy-Institut liegt. Hinter der Theke steht Julia, Studentin im Masterstudiengang Tanzwissenschaft: „Die Kund*innen fragen mich häufig, wie mein Studium so läuft“, erzählt sie. Bereits seit drei Jahren arbeitet die 23-Jährige hier, den Nebenjob suchte sie sich bewusst in Uni-Nähe. Die Geschäfte bieten den Studierenden Jobmöglichkeiten, gleichzeitig machen diese aber auch einen wichtigen Bestandteil ihrer Kundschaft aus: „Etwa dreißig Prozent unserer Kund*innen sind Studierende“, schätzt Julia. Ansonsten hätten sie vorwiegend ältere Kundschaft und viele Stammkund*innen aus der Gegend. „Eine Rentnerin kommt sogar regelmäßig zu uns, um sich mit Studierenden auf einen Kaffee zu treffen“, erzählt Julia.

Spezielle Initiativen, die Anwohner*innen und Studierendenschaft verbinden oder in Kontakt bringen, gibt es aber bisher nicht. Die Studierenden bleiben also Gäste, die den Campus gemäß der universitären Zeitrechnung besuchen und verlassen. Wenn sie abends in die restlichen Berliner Bezirke zurückkehren und in der Großstadt verschwinden, kehrt Ruhe ein. Zurück bleiben Spuren, wie die an die Bäume gepinnten Zettel, auf denen der nächste Streik oder das Treffen eines Marx-Lesekreises angekündigt wird – und natürlich die Dahlemer*innen. Das beschauliche Viertel, seine Menschen, Läden und Baumrinden, bereitet sich dann auf den nächsten Tag vor, an dem die zwei Welten erneut aufeinanderprallen werden. Vermutlich wird es ein weiterer Tag friedlicher Koexistenz.

Mitarbeit: Marius Mestermann

Corinna Segelken, Leonhard Rosenauer

Zur Startseite