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Berlin: Das große Geschäft mit dem Geiz

Rabatt-Coupons und Klöße gratis zum Schweinekamm – was sich Händler einfallen lassen, um knickerige Kunden in die Läden zu locken

Eigentlich wollte Hausfrau Petra Bergmann aus der Schlangenbader Straße in Wilmersdorf ihrer Familie heute zum Mittag Quark mit Leinöl präsentieren. Die Familie kommt drum rum. Denn Frau Bergmann hat sich, wie Tausende andere auch, aus der Zeitung einen kleinen gelb-roten „Spar-Coupon“ ausgeschnitten. So weiß sie genau, dass sie heute aus Spargründen zur Fleischtheke gehen muss. Dort wird sie sich ein Kilo Schweinekamm mit Knochen einpacken lassen. Und sie wird sich freuen, dass sie dazu, wie selbstverständlich, Kartoffelklöße oder Semmelknödel bekommt. Wie die Bergmanns essen vermutlich Zehntausende Berliner Familien heute oder morgen Schweinekamm mit Klößen oder Semmelknödel – und freuen sich, dass alles nur 2,22 Euro gekostet hat. Wie sie sich gestern über zwei Gläser Konfitüre für einen Euro oder am Donnerstag über je 10 Marienfelder Würstchen für zwei Euro gefreut haben. Ohne Coupon hätten sie’s hier so billig nicht bekommen.

„Ein Bombenerfolg“ sei die Coupon-Aktion, freute sich gestern Reichelt-Sprecherin Hildegard Retzlaff. Zu Zehntausenden seien die Coupons seit Donnerstag ausgeschnitten und eingetauscht worden, und man hätte, beispielsweise bei den Würstchen, schnell aus eigener Produktion nachliefern müssen. Der Versuch sei also höchst erfolgreich gewesen und werde vermutlich nicht auf die drei Tage des neuen Jahrs beschränkt bleiben.

Die Kunden stehen auf Coupons, auf die Amerikaner schon seit Jahrzehnten scharf sind. Die Geschäfte in Berlin setzen die Mini-Vorzugsscheine zunehmend als werbewirksames Lockmittel ein, und die Kunden springen voll drauf an. Wer es bei Reichelt als Kunde dennoch versucht, auch ohne Coupon zu den speziellen Sonderangeboten zu kommen, wird freundlich eines Besseren belehrt. Auch die anderen Lebensmittelfilialketten, die großen Kauf- und Bekleidungshäuser oder auch mittelständischen Händler nutzen das allgemeine Klagen über zu wenig Geld zu attraktiven Spar-Aktionen. Aldi veröffentlicht detailliert Preisvergleiche und offeriert „dauerhafte Preissenkungen“. Das Wort Rabatt taucht in den Anzeigen so oft wie noch nie auf. Alles ist, so scheint es, für die Kunden so billig wie noch nie geworden.

„Billigwelle?“ Das ist ein Wort, das Karsten Lewandowski nicht hören mag. Billig höre sich schlecht und minderwertig an. preisgünstig klinge viel besser, oder auch das „Schnäppchen“. Lewandowski ist Verkaufsleiter von Saturn am Alex, wo es beispielsweise gestern schwarz vor Menschen war, nicht zuletzt, weil es aktuelle Musik-CDs mit 20 Prozent Rabatt gibt . Das Vorzeige-Sonderangebot aber ist ein 106-Zentimeter-Panasonic-Plasmafernseher für 5999 Euro, und dabei soll der Kunde satte 1500 Euro sparen. Auch DVD-Player sind im Verkaufstrend, wurden gestern fast palettenweise verkauft. „Geiz ist geil“, heißt es in der Saturn-Werbung, auch vom ausgebrochenen Geizjahr ist die Rede. „Das Wort Geiz hat einen guten Klang bekommen“, sagt Lewandowski, und die wirtschaftliche Situation verlange dies auch, denn „jeder ist geizig“.

So geizig die Kunden auch sein mögen, sie rennen zum Shoppen, und die Kaufhäuser waren stellenweise auch gestern so voll wie zum Weihnachtsgeschäft. Karstadt wirbt mit dem Slogan: „Jetzt mehr pro Cent“ und Preisnachlässen von fast bis zu 60 Prozent. Bei einer Federkernmatratze für 199 Euro lassen sich beispielsweise 50 Prozent sparen. In der Filiale am Hermannplatz freute sich die Geschäftsführung gestern über das volle Haus. Man sei mit dem Geschäft sehr zufrieden und hätte sich schon immer so einen geglückten Jahresanfang gewünscht. Wertheim hat das „Wintersparvergnügen“ ausgerufen, und bietet in Zeitungsanzeigen Coupons, die für Textilien Rabatte bis zu 30 Prozent in Aussicht stellen. „An die Preise, fertig, los!“ heißt das Motto. Möbel Tegeler bietet zwar keine Coupons, aber 20 Prozent Nachlass „im Rahmen der Inventur“. Ikea lockt unter anderem mit einem fast geschenkten Frühstück und auch das KaDeWe gibt für Bekleidung Nachlässe bis zu 30 Prozent. Haushaltswaren, die hier traditionell zum Jahresanfang günstiger angeboten werden, kosten bis zu 50 Prozent weniger. Die Gropius-Passagen mit 180 Geschäften nutzen heute die Kauflust zu kleinen Preisen zum Neujahrsfest mit „Mitternachtsshopping“.

Christian van Lessen

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