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Berlin: Das Schweigen im Publikum - der historische Holzhammer bricht der Inszenierung das Genick

Eine Szene gab es, die war wirklich gut. Gruselig gut.

Eine Szene gab es, die war wirklich gut. Gruselig gut. Da hatten das ältliche Fräulein Schneider und der jüdische Kaufmann Herr Schultz gerade überaus anrührend Verlobung gefeiert, und nun singt da ein Kerl eine Nazi-Hymne. Singt sie erst leise, melodisch, und immer mehr aus dem Kreis der geladenen Gäste stimmen ein, der Gesang wird lauter und lauter, bis sich schließlich die Arme heben zum Hitlergruß. Schweigen im Publikum, das bislang jede Nummer beklatscht hatte, eisiges Schweigen. Dann Licht an und Pause, ohne Kommentar. Sehr ungemütlich war das, ungemütlich gut.

Eine andere Szene hat der Inszenierung das Genick gebrochen. Dass sich Georg Preuße am Ende, als schon alles vorbei war, nackt ausziehen muss und hinkend verschwindet in ein rot-rauchendes Höllenfeuer, das eine Gaskammer sein soll, das war zuviel. Zuviel historischer Holzhammer für dieses Musical, das seine Stärke gerade aus den Zweideutigkeiten zieht, aus jenem geschickten In-between zwischen golden-twenties-Nostalgie und der Ahnung kommender Zeiten. Zuviel pädagogische Ernsthaftigkeit auch für ein Publikum, das gut gemachtes Boulevard erwarteten durfte: Die Buhrufe für Regisseur Michael Wedekind waren unüberhörbar.

Dabei soll keiner sagen, das Theater am Kurfürstendamm habe den Zeitpunkt nicht gut gewählt, das Musical "Cabaret" wieder auf den Spielplan zu holen: Jetzt, da Berlin wieder Zentrum sein soll. Zu besten Hoffnungen ermunterte auch, dass Georg Preuße, der jahrelang als "Mary" triumphiert hatte, die Rolle des Conférenciers übernommen hatte. Da war einiges zu erwarten an Geschlechterverwirrung, Exhibitionismus und frivolem Kabarett. Zumindest diese Hoffnungen werden nicht enttäuscht. Wie eine Mischung aus Jack Nicholson und Quasimodo grimassiert Preuße sich durch den Part, windet sich wie Kaugummi, hält ziemlich genau die Waage zwischen obszönem Witz und Provokation.

Vasiliki Roussi, die ihm als Sally zur Seite steht, hat - wie jeder - mit dem überragenden Vorbild Liza Minnelli zu kämpfen, das sie bis in die Gesten kopiert. Jener grandiosen Selbstverlogenheit, mit der bei der Minnelli hinter jeder glamourösen Geste immer das arme Würstchen Sally Bowles hervorkommt, setzt Roussi schlichte Unschuld entgegen: Ihre Sally ist ein Kind, mit Kulleraugen, breitem Lachen, Spaß am Leben und einem Abgang wie ein Junkie - herzzerreißend, aber schmal.

Dass es trotzdem kaum knistert und knallt, liegt an der Regie. Trotz reichlich Strass, Pailletten und Strapsen bleibt alles schön sauber. Die "politisch scharfe neue Fassung" des Stoffs, die Wedekind versprochen hatte, ist weniger aufregend als ein paar scharfe Szenen. Maybe next time.Bis 12. Dezember, täglich außer Mo, 20 Uhr

Christina Tilmann

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