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Berlin: Der amerikanische Traum ist geplatzt

In den Rathauspassagen ist Wal Mart schon präsent – als Name an der Tür. Nach dem Rückzug fragen sich Mieter, warum sie den quälenden Umbau in Kauf nehmen mussten

Wo Wal Mart dran steht, muss längst nicht Wal Mart drin sein. Überall im ersten Stock der Rathauspassagen ist der Name der US-Handelskette an Türen gemalt, in schwarzer Farbe und in Druckschrift. Auf lange Zeit, so war die Hoffnung. Mindestens 15 Jahre sollte der Schriftzug halten, im März das lang erwartete Verkaufsgeschäft starten. Doch jetzt machte der Konzern einen Rückzieher, kurz vor dem erwarteten Einzug.

„Es ist eine Katastrophe“, schimpft Mieter Gerhard Strebe, der im 9. Stock wohnt und alle Abriss- und Bauphasen von oben fotografiert hat. Er will noch immer nicht glauben, was er da vor wenigen Tagen gehört und gelesen hat. „Die können doch nicht einfach aus dem Vertrag raus! War der ganze Ärger mit den Bauarbeiten für nichts?“ Das Problem mit Wal Mart dürfe man nun nicht allein der Wohnungsbaugesellschaft Mitte oder dem Bezirksbürgermeister überlassen. „Das ist eine politische Entscheidung“, sagt Strebe, „ da muss der Wowereit ran.“

Nach ein paar Schritten aus dem Roten Rathaus wüsste der Regierende Bürgermeister etwas über den Ärger, die Enttäuschung, auch den gewissen Hohn unter etlichen Mietern, die der Wohnungsgesellschaft den Ärger mit den Bauarbeiten nicht verzeihen wollen. Nun ist die große US-Handelskette als Hauptmieter abgesprungen und die Bauarbeiten für Wal Mart sind noch immer nicht beendet. In rund 360 Haushalte dröhnte fast zwei Jahre lang der Lärm der Presslufthämmer, weil die alten Rathauspassagen unter ihnen abgerissen oder zum Teil umgebaut wurden, aus oberen Stockwerken hagelte es mitunter Farbbeutel gegen Bauarbeiter. Auch Mietminderungen konnten die Bewohner nicht besänftigen. Vor den Fenstern von hundert Mietern, die vorher freien Blick auf den alten Molkenmarkt und die Grunerstraße hatten, wurden zwei noch unfertige Parkhäuser für 600 Autos hochgezogen. Parkhäuser, die der künftige Passagen-Hauptmieter, Wal Mart, zur Einzugsbedingung gemacht hatte. Die Mieterzugänge wurden umgestaltet, Mauern gezogen, neue Türen gebaut, ein Steingarten oberhalb der Passage angelegt mit Bänken und Lichtkuppeln, durch die man in den Supermarkt hätte blicken können. „Alles hier ist in Richtung Hauptmieter gebaut“, sagt Manfred Golombek.

Wie andere Geschäftsleute hatte auch er sein erst 1995 modernisiertes Bowlingcenter wegen der Bauarbeiten schließen müssen, die Räume mit 18 Bahnen wurden fast vollständig umgebaut, damit für die Lieferzone von Wal Mart ein Stockwerk höher die Statik stimmt. Golombek war der letzter Mieter der alten Rathauspassagen, ist seit knapp drei Wochen der erste Mieter der neuen. „Ich hoffe nicht, dass hier eine Ruine entsteht“, sagt er. Die Post wird kommen, eine Apotheke, ein „Italiener“, aber die große Fläche im gesamten zweiten Stock, das Paradestück der ganzen Passage, wird leer stehen. Von Wal Mart hatte auch Golombek profitieren, „ein Stück vom Kuchen“ haben wollen.

Nachdem die Amerikaner den Mietvertrag gekündigt und dies mit Bauverzögerung und einem fehlenden Bodengutachten begründet haben, ist um die leeren Passagen Resignation eingezogen. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte, die Wal Marts Rückzieher nicht hinnehmen will, bemühte sich bislang vergeblich um ein klärendes Gespräch mit ihrem einstigen Hoffnungsträger. Auch die Mieter hatten auf den großen Selbstbedienungsmarkt gehofft, da die Einkaufsmöglichkeiten direkt neben dem Rathaus schlecht sind. „Ich wünsche, dass es doch noch klappt“, sagt Gerhard Strebe, der von seinem Fenster nun die Parkhäuser vor Augen hat, aber auch das Rote Rathaus, auf das er seine letzten Hoffnungen setzt.

Oberhalb der Passagen wohnt Strebe seit 1986, damals war er aus Thüringen gekommen, hatte dort ein Rechenzentrum geleitet. Die kleine Wohnung, die er hier beziehen konnte, gehörte dem Kombinat Datenverarbeitung. Überhaupt hatten sich hier zahlreiche Ost-Berliner Behörden und Betriebe Dienstwohnungen gesichert. Die Ende der sechziger Jahre gebauten Rathauspassagen hoben sich vom Plattenbau-Look ab, die damaligen Geschäfte waren mit dem üblichen Standard nicht zu vergleichen. Es gab allein drei Schuhgeschäfte, Cafés und Restaurants und den „Delikat“-Laden, in dem hochwertige Lebensmittel auch aus West-Produktion zu kaufen waren. Die meisten Mieter empfanden die neue Wohnung in nächster Nähe zu Alex und Fernsehturm als Lottogewinn.

Die Wende bekam den meisten Geschäften in den Passagen nicht, das Areal verfiel, bis sich die Wohnungsbaugesellschaft entschloss, 60 Millionen Euro in den Umbau zu investieren. Und Hoffnungen auf Wal Mart zu setzen. Aber nur der Name ist eingezogen, sonst nichts.

Christian van Lessen

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