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Berndt Volker Jakob

© privat

Nachruf auf Berndt Volker Jakob: "Der Mann muss raus!"

Schon seinen Mitschülern war klar: Berndt wird mal Vertreter! Der Nachruf auf einen, dessen Wünsche in Erfüllung gingen.

Berndts Verwandte, Freunde und die vielen Brüder warten vor der Kapelle des Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Friedhofs. Der Sarg aus hellem Holz wird herausgefahren, zwei Dutzend schwarz gekleideter Herren mit weißen Handschuhen bilden einen Kreis, drei von ihnen sprechen über Berndts Leben und über das Durchschreiten des „Tores nach Osten“. Ein Logenbruder stirbt nicht, er geht dem ewigen Licht entgegen. Berndts Wunsch, nach den Regeln der Freimaurer bestattet zu werden, erfüllt sich so selbstverständlich wie fast jeder seiner Wünsche in den vergangenen 77 Jahren.

Von Breslau kam Berndt früh mit seinem Bruder und der Mutter nach Berlin, der Vater war als Soldat ums Leben gekommen. In der Schule erzielte Berndt regelmäßig Bestnoten – wenn er sich für ein Fach interessierte. Da das immer seltener vorkam, er dafür immer öfter Tadel kassierte, elf insgesamt, flog er vom Gymnasium. Er würde es auch ohne Abitur zu Wohlstand bringen, davon war er überzeugt. Und auch seine Mitschüler waren sich einig: Der witzige und wortgewandte Kerl würde mal als Vertreter große Erfolge feiern.

Berndt begann eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann in einem Pharmazie-Unternehmen und lernte viel über Kräuter und andere Heilmittel. An einem Frühlingstag kurz nach seinem 18. Geburtstag erblickte er auf dem Balkon des Charlottenburger Nachbarschaftsheims Barbara – und war sich sicher, die soll es sein! Barbara war etwas überfordert: Berndt, der immer mit ihr tanzen gehen wollte und demnächst ihre Gesellenprüfung … Berndt besorgte ihr eine Kräutermischung und harmlose Pillen, die sie gelassener machten. Am 26. August 1966 heirateten die beiden in der Kirche am Lietzensee. An einem 26. August hatten auch seine Eltern geheiratet.

Schaumbäder und Klebstoffe

In seiner Firma bemerkten sie schnell, dass Berndt in der Kommissionierung und Administration falsch war: „Der Mann muss raus, zum Kunden, dem kauft man alles ab!“ Sie hatten recht, Berndt verkaufte dem Einzelhandel die Schaumbäder und Klebstoffe seiner Firma mit größtem Erfolg. Später vertrieb er für einen anderen Hersteller Parfum.

Auch jenseits des Berufs ließ er sich bejubeln. Beim Handballverein „DJK Westen“ avancierte er zum Torgaranten. Seine erste Fahrt zu einem Auswärtsturnier war lang, es ging nach Württemberg. Zeit genug, die ganze Palette Coca Cola, 24 Dosen, ganz allein auszutrinken. Nachdem er trotz der acht Liter die schönsten Tore geworfen hatte, nannten sie ihn nur noch voller Hochachtung „Coca“. Als er älter war, kam es vor, dass er bei Handballturnieren doppelt auftrat, einmal in der Herrenmannschaft und dann noch mal bei den Senioren. In deren Teilnehmerliste trug er einen anderen Namen ein.

Seinen ausgeprägten Leistungswillen wollte er gern seinem Sohn Christian vermitteln. Er nahm ihn bei der Hand, zeigte ihm die Gescheiterten auf der Straße hinterm Bahnhof Zoo, auf der Potsdamer Straße und auf dem Stuttgarter Platz: Um solche Leute sollst du dich kümmern. Nur hier landen sollst du nicht! Er brachte ihn auch auf die Idee, sein altes Spielzeug auf dem Flohmarkt zu verkaufen, um Neues zu erwirtschaften.

Der Sohn war seinem Vater nicht unähnlich: Er entwickelte einen starken Willen. Es kam zu Machtkämpfen. Auch Barbara fühlte sich von Berndts Dominanz eingeengt und drohte, ihn zu verlassen. „Coca“ kämpfte um sie und wurde sogar etwas weicher.

Im Berliner Umland bauten sie sich ein Haus und in Schweden ein Häuschen. Dort verbrachten sie viele Weihnachten und viele Sommer, aber für ihren Ruhesitz war ihnen Schweden dann doch zu weit entfernt und zu einsam.

Nach der Wiedervereinigung teilten die großen Dufthersteller den Osten unter sich auf. Berndt vertrat seine Firma in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Weil seine Auftragsblöcke zu dünn waren, kannte er bald jeden Kopierladen. Wo immer er auftauchte, hinterließ er ein Schmunzeln und den Duft der großen, endlich erreichbaren Welt.

Der Sport blieb wichtig, er lief sogar Marathon und Triathlon. Aber mit 50 spürte er allmählich seinen sportlichen Raubbau – und kaufte sich ein Motorrad. Der Unfall nach ein paar Wochen und die heftige Verletzung der Hand brachten ihn aber nicht von der Idee ab, ein wenig schneller unterwegs zu sein. Er kaufte sich eine schwerere Maschine.

Eineinhalb Jahre vor Rentenbeginn war Berndt öfter krank. Die Firma wollte eine gut aussehende, schlechter bezahlte Dame auf seine Position setzen und engagierte einen Detektiv, der die Krankschreibung überprüfen sollte. Letztlich erhielt Berndt eine Abfindung und genoss fortan Barbara, sein Motorrad und seinen stattlichen Freundeskreis.

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Aber irgendetwas fehlte. Er erinnerte sich an die geheimnisvollen Geschichten seiner Großmutter, deren Mann Freimaurer war. Am 15. April 2009 begann er mit seiner „Lehre“, so nennt man den Einstieg in einer Loge. „Drei Lichter im Felde“ hieß seine. Nach acht Monaten begann seine „Gesellenzeit“. Logengesellen erhalten einen Wanderpass, in dem die Besuche anderer Logen, weltweit, registriert werden. Mit mehr als 50 Besuchen in zehn Monaten sicherte sich Berndt einen Rekord; so schnell war noch keiner so weit herumgekommen. In der Weihnachtszeit 2010 erhielt er den Meistertitel. „Coca“ trank nie Alkohol, auch deshalb endeten seine mittwöchlichen Logenabende erst donnerstags in der Früh: Berndt fuhr seine Brüder oft noch nach Hause.

2014 erhielt er eine schlimme Diagnose. Für die folgenden, zahlreichen Arztbesuche kleidete er sich immer fein und legte ein Parfum seines letzten Arbeitgebers auf. Sein Motorrad musste er verkaufen; weil die Treppe im Haus unüberwindbar wurde, zog er mit Barbara in eine barrierefreie Wohnung mit großem Balkon um, von dem aus sie auf ein großes Feld blickten und Zeugen einer Rehgeburt wurden.

Berndt war es gewohnt, dass seine Wünsche in Erfüllung gingen. Als es ihm wirklich schlimm ging, wäre er gern durch das Tor nach Osten gegangen, sofort. Es sollte noch 18 Monate dauern. Als sich der große japanische Hund seines Sohnes vor Berndts Krankenlager legte und sehr lange nicht aufstand, signalisierte das den endgültigen Abschied.

[Wir schreiben regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de. Wie die Nachrufe entstehen, erfahren Sie hier.]

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