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Berlin: Der Wärter sah nur Rot

Nur ein Helfer des flüchtigen Häftlings verurteilt

Der eine konnte den Häftling leider nicht mehr stoppen, weil die Sprechzeit zu Ende war. Der andere wollte kein Verräter sein. Der dritte Jugendliche, der als „Vertretung“ im Gefängnis bleiben sollte, will den Rollentausch als lustigen Streich angesehen haben. Und alle drei Angeklagten waren sich gestern im Prozess um Gefangenenbefreiung vor dem Amtsgericht Tiergarten einig: „Die Flucht war eine spontane Idee von Ismail.“ Der 17-jährige S. kann derzeit allerdings nicht danach befragt werden. Er ist noch immer flüchtig.

Die drei Angeklagten – 17, 19 und 20 Jahre alt – hatten ihren Freund S. am 7. September letzten Jahres im Jugendgefängnis besucht. Ismail S. ist ein Serientäter, der in Plötzensee seit Mai 2004 eine Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verbüßen sollte. Mit neun anderen Häftlingen wurde er zur Gruppensprechstunde gebracht. In dem Raum saß vorn am Pult ein Wachtmeister. Ismail trug einen auffälligen roten Pullover, er und sein Besuch wählten einen Tisch in der linken Ecke. „Die steckten die Köpfe zusammen und tuschelten“, sagte ein Zeuge, der damals seinen Bruder besucht hatte. Der Beamte am Pult aber bekam davon nichts mit. Ihm sei „nichts Erkennbares aufgefallen“, gab er später zu Protokoll.

Ismail im roten Pullover verschwand während der Besuchszeit kurz Richtung Toilette. Auch sein 17-jähriger Kumpel Soner, der ein beigefarbenes Basecap trug, wurde mobil. Soner zog den auffälligen Pullover an, Ismail die Mütze. Mit diesem uralten Trick gelang S. die Flucht. Mit dem Ausweis von Soner marschierte schnurstracks in die Freiheit, während sich seine „Vertretung“ zur Zelle bringen ließ. „Er grinste auch noch, als er entdeckt wurde“, sagte ein Beamter.

„Es waren unglückliche Zufälle, durch die die Flucht möglich wurde“, sagte ein Vollzugsbeamter im Prozess. „Wir waren unterbesetzt.“ Keiner der eingesetzten Wärter habe vorher mit Ismail zu tun gehabt. „Bei der Rückführung der Inhaftierten war der rote Pullover wieder dabei.“ Dass der falsche Mann in der richtigen Kleidung steckte, sei ihm nicht aufgefallen. Wie einem anderen Beamten nicht auffiel, dass Ismail S. mit dem falschen Ausweis nach draußen gelangte. Nach neunstündigem Prozess war aus Sicht der Richter allerdings nur Soner als Fluchthelfer überführt. Er wurde zu 15 Tagen Dauerarrest und 40 Stunden Freizeitarbeit verurteilt. Bei den beiden anderen sei nicht bewiesen worden, dass sie sich aktiv durch einen gemeinsamen Plan an der Flucht beteiligt hätten.

Kerstin Gehrke

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