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Berlin: „Deutsche und Türken driften auseinander“

Der Chef der Türkischen Gemeinde über Misstrauen und aufgestaute Gefühle

Die türkischen Schüler und Eltern in der Herbert-Hoover-Schule sind für das Deutsch-Gebot. Warum sind die türkischen Verbände dagegen?

Es geht nicht allein um diese Schule, sondern um die Art, wie die Gesellschaft und die Politik insgesamt darüber diskutieren. Viele Politiker wie Wolfgang Thierse haben die Praxis der Hoover-Schule als Modell für andere empfohlen. Das finden wir nicht richtig. Wir sind uns einig, dass die Jugendlichen besseres Deutsch lernen müssen. Aber mit Zwang, auch mit einem freiwilligen Beschluss, lässt sich das nicht machen. Das kommt in der türkischen Gemeinde so an: Man akzeptiert unsere Kultur und unsere Sprache nicht.

Wieso fühlt man sich gleich angegriffen?

Vielleicht ist es eine Frage der Wortwahl. Ich hätte mir gewünscht, dass in der Hausordnung der Hoover-Schule steht: „Wir sind eine internationale Schule. Alle Kulturen sind willkommen. Um miteinander besser umzugehen, die Sprache zu praktizieren, plädieren wir dafür, dass auch auf dem Schulhof Deutsch gesprochen wird.“ Dagegen hätten wir nichts gesagt.

In der Hausordnung steht aber: „Die Schulsprache ist Deutsch, die Amtssprache der Bundesrepublik Deutschland...“

Dieses Bürokratendeutsch schreckt ab anstatt zu fördern. Zudem: Warum schafft es die Schule nicht, den Kindern mit anderen Mitteln Deutsch beizubringen?

Die Schule kann doch nicht aufholen, was in den Elternhäusern versäumt wird.

Stimmt. Dann lassen sie uns über die Elternhäuser reden.

Das haben wir doch getan. Es gibt Mütterkurse und vieles mehr. Sie wissen doch auch, wie sehr sich die Lehrer um das Deutsch ihrer Schüler bemühen. Warum erheben Sie den Generalvorwurf, das deutsche Bildungssystem habe versagt?

Das Bildungsproblem ist kein ethnisches Problem, sondern ein soziales. 70 Prozent der Türken gehören der Unterschicht an, 13 Prozent der Deutschen. Die Schulen haben es nicht geschafft, sich um diese Schüler richtig zu kümmern, egal ob Türken oder Deutsche.

Nach dem Mord an Hatun Sürücü vor einem Jahr gab es runde Tische, an denen Türken und Deutsche gemeinsam überlegten, was man tun kann. Von der Aufbruchsstimmung ist wohl nicht mehr viel übrig.

Die deutsche Mehrheitsgesellschaft und die türkische Gemeinschaft driften auseinander: Die Türken fühlen sich diskriminiert, die Deutschen wollen noch mehr Druck. Nach dem 11. September machte sich Misstrauen gegen Muslime breit, dann die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft, noch mehr Misstrauen nach den Anschlägen in London, jetzt der „Muslimtest“ und die Deutschpflicht. Viele Türken denken: Jetzt reicht es. Es geht immer nur gegen uns. Vieles wird einfach über unseren Kopf hinweg beschlossen. Ich wurde jetzt erstmals in den Bundestag eingeladen. Ein Anfang.

Wer kann vermitteln?

Ich versuche es. Unsere Stellungnahmen gegen Zwangsheirat, gegen Ehrenmorde nach dem Sürücü-Mord haben in der türkischen Gemeinde massive Diskussionen ausgelöst. Der „Muslimtest“ und die Deutschpflicht fördern die Diskussion nicht, sondern verstärken das Gefühl, das man gegen den Druck von außen zusammenhalten muss. Dagegen komme ich nicht an. Aber ich habe gestern lange mit Böger gesprochen, den ich für einen sehr kompetenten Senator halte. Wir müssen die Diskussion versachlichen.

Das Gespräch führten Claudia Keller und Susanne Vieth-Entus

Kenan Kolat, 47, ist Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland. Seit 1992 leitet er als Geschäftsführer den Türkischen Bund

Berlin, den er 1991 mitbegründete.

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