
© IMAGO/F. Anthea Schaap
„Die wahre Berliner Küche ist vietnamesisch“ : Chefin der Food Week über die vielfältige Gastro-Szene – und den Geschmack ihrer Kindheit
Ab 6. Oktober dreht sich bei der Berlin Food Week wieder alles ums gute Essen. Wie steht Berlin da? Was hat sich verändert? Ein Interview mit der Geschäftsführerin Alexandra Laubrinus.
Stand:
Frau Laubrinus, Sie sind Geschäftsführerin der Berlin Food Week, einem Festival, das sich seit 2014 mit gutem Essen in all seinen Erscheinungsformen beschäftigt. Schmeckt Berlin heute anders als vor elf Jahren?
Nicht völlig, aber die Gastro-Szene ist vielfältiger, nachhaltiger und regionaler geworden. Es gibt mehr Wertschätzung für unsere Umgebung. Und gleichzeitig ist das Angebot kreativer geworden, wenn es um Länderküchen geht.
Von chinesischen handgezogenen Nudeln, mexikanischen Gourmet-Tacos oder japanischem Yakitori aus französischen Bresse-Hühnern hat man damals nichts geahnt?
Das vielleicht nicht, aber Streetfood war ein großes Thema. Heute ist Gemüse viel wichtiger. Wir hatten lange eine Reihe namens Stadtmenü, für die sich Restaurants besondere Menüs ausgedacht haben. Im allerersten Jahr war unser Motto „Gemüse ist mein Fleisch“. Ich erinnere mich noch, wie ich mit jedem einzelnen Küchenchef telefonieren und erklären musste, was wir uns denn darunter vorstellen würden. Wir mussten regelrecht verhandeln, dass der Hauptgang vegetarisch ist. Und Essengehen war damals auch noch deutlich günstiger.
Wer 2014 seinen Teller fotografierte, galt noch als leicht verhaltensauffällig.
Instagram hat alles verändert, die Inszenierung ist heute ein sehr, sehr wichtiger Punkt. Das merkt man schon am Licht in den Restaurants, das viel besser geworden ist. Man sieht sofort, wenn sich jemand darum keine Gedanken gemacht hat. Wobei ich mich manchmal frage, ob das wirklich auch zu Gunsten des Geschmacks ist. Manchmal schmeckt ugly food besser.
Was lernt man über die Stadt, wenn man sich ihr über die Gastronomie nähert?
Man lernt einen Teil der Stadt kennen, der für eine Sache sehr brennt. Es gibt hier unglaublich viele Menschen, die alles für gutes Essen und gute Produkte geben. Das treibt uns immer noch an, dem eine Bühne zu geben. Wie viel hier erfunden wird. Und wie sich die Stadt verändert hat. Gute Bäckereien, die mit Sauerteig arbeiten, gabs anfangs vor allem in Mitte, jetzt existieren sie von Neukölln über Schöneberg bis in den Wedding überall. Die Gastro ist ein Ausdruck, wie ein Stadtteil tickt. Vom Edelitaliener in Charlottenburg bis zur Craft-Cocktailbar in Neukölln. Und es wird einem bewusst, wie sehr das zur Lebensqualität beiträgt.
Es ist deutlich aufwändiger geworden, eine erfolgreiche Gastronomie zu starten.
Alexandra Laubrinus
Vor zehn Jahren herrschte Aufbruchstimmung im kulinarischen Berlin. Viele stilprägende Restaurants eröffneten, etwa das „Coda“, das „Nobelhart & Schmutzig“, das „Tulus Lotrek“. Ist von dem Geist noch viel übrig?
Ich möchte das der Stadt nicht absprechen. Damals hat man ein paar Tische und Stühle zusammengestellt und geiles Essen gemacht. Interior-Konzept? Brauchte man nicht. Heute schon. Es ist deutlich aufwändiger geworden, eine erfolgreiche Gastronomie zu starten. Der Markt ist nicht so saturiert wie in Paris oder London. Aber es ist eine Professionalität eingekehrt. Mal was ausprobieren, das können sich die Unternehmer innen nicht mehr erlauben. Alles ist viel durchdachter, weil die Kosten viel höher sind: Mieten, Personal, Waren. Und bei den Investoren sitzt das Geld nicht mehr so locker.
Lange bekam man in angesagten Restaurants Stegreifreferate über die Zutaten. Heute es viel mehr ums Ausgehen. Wollen die Leute heute etwas grundsätzlich anderes?
Auch im Restaurant scheint es eine Transformationsmüdigkeit zu geben. Die Leute wollen einen entspannten Abend, Essen, das man kennt, das nicht überfordert. Erlebnis, Unterhaltung, Ablenkung. Die Menschen haben ein stärkeres Bewusstsein für Nachhaltigkeit, aber sie entscheiden sie über den Genuss, über den Hedonismus: Was tut es mir Gutes? Und natürlich über den Preis. Die Preissensibilität ist stark angestiegen.
An der kulinarischen Spitze tut sich in anderen deutschen Städten gerade mehr als in Berlin. Warum?
Ja, in München und Hamburg etwa. In den Städten sieht man die Unterstützung der Politik, in Hamburg über Hamburg Tourismus, da gibt es einen Zusammenschluss von verschiedenen Akteurinnen, die das Thema Kulinarik vorantreiben. In München hört man ähnliches aus der Branche. Oder Frankfurt am Main. Die haben die Michelin-Gala geholt, die Restaurant Week wiederbelebt und viel mehr Sichtbarkeit bekommen.
Die Berlin Food Week ist rein privat finanziert. Wollen Sie keine Unterstützung?
Wir haben es nicht jedes Jahr versucht, deshalb kann ich das niemandem zum Vorwurf machen. Hier hat die Eat!-Berlin lange eine Anschubfinanzierung bekommen. Bei uns hieß es, dass man ja schon ein Festival unterstütze. Jetzt gibt es kein Geld für niemanden. Es ist schon eine Besonderheit, dass wir kein Geld bekommen. Ich kenne, auch international, kein Food-Festival, dass keine öffentliche Finanzierung hat. Zürich, Kopenhagen oder Hamburg, alle haben öffentliche Gelder. Wir sehen durchaus auch bei uns ein Bedürfnis dafür, es wird zunehmend schwerer.
Was genau?
Sponsorengelder sind schwerer zu bekommen. Sponsoring und Marketinggelder sind das, woran immer zuerst gespart wird. Das ist ein Teufelskreis, das geht durch die ganze Wertschöpfungskette. Wir sparen als Verbrauchende beim Essen, das hat Auswirkungen auf die Produzentinnen, auf die Industrie. Und das spüren wir als Festival auch schnell.
Ein Segment, das schnell wächst, ist die Systemgastronomie. Stirb das Wirtshaus gerade?
Ich glaube nicht, aber Individualgastronomie hat es zunehmend schwer, gerade auf dem Land. Man hört von allen Seiten, dass man fast schon gezwungen wird, auf Convenience-Produkte wie geschälte Kartoffeln zu setzen. Das macht das Essen austauschbarer. Dann gibt es überall dasselbe. Bei der Systemgastronomie mit ihrer Effizienz hat man ein Preis-Leistung-Verhältnis, das sie für die preissensiblen Konsumentinnen attraktiver macht.
Irgendwann ist auch eine Schallgrenze erreicht, wenn der Matcha-Latte im Café nebenan sieben Euro kostet.
Alexandra Laubrinus
Haben wir in zehn Jahren nur noch Ketten?
Diese Gastronomie hat eine Niedrigschwelligkeit, eine Zugänglichkeit, die in anderen Restaurants oft fehlt. Das gibt den Ketten Relevanz, was man an den Eröffnungszahlen sieht, etwa bei L’Osteria. Das sind die Gewinner der Entwicklung. Ich möchte nicht daran glauben, dass das ewig weitergeht. Quickservice und Franchise sind professionell und skalierbar, vor allem weil sie es sich leisten können, zukünftig auf Robotik, also automatisierte Küchen, zu setzen. Und damit auch andere Preise anbieten können. Andere Gastronomien können mit innovativen oder individuellen Konzepten und Handwerk überzeugen und Trends schneller umsetzen.
In Berlin steht die schnell expandierende Kette „Lap Coffee“ in der Kritik, die Kaffeevollautomaten benutzt und ihre Produkte zu deutlich günstigeren Preisen anbietet als die Konkurrenz. Ihr wird Verdrängung vorgeworfen.
Irgendwann ist auch eine Schallgrenze erreicht, wenn der Matcha-Latte im Café nebenan sieben Euro kostet. Die Leute wollen ihn aber trotzdem haben, und wenn sie ihn sich dort nicht mehr leisten können, suchen sie sich eine Alternative. Ich tue mich schwer damit, das zu kritisieren.

© Dirk Mathesius
Zur Food Week gehört das House of Food, da bieten Sie Start-ups eine Bühne, ihre Produkte zu präsentieren. Wie stark ist die Szene in Berlin?
Berlin hat eine starke und superspannende Start-up-Welt, wenn es ums Essen geht. Die konkurrieren mit dem Europäischen Markt. Das entwickelt sich gut. Gesamtwirtschaftlich gibt es auch da Herausforderungen. Die Finanzierungsrunden werden länger, die nächsten Runden sind nicht so sicher, da muss man haushalten, braucht schneller einen Beweis, dass man Kunden generieren kann.
Von wo bekommen Sie die meisten Bewerbungen für das House of Food?
Etwa die Hälfte kommt aus Berlin, das ist kein Auswahlkriterium. Bei landwirtschaftlichen Erzeugern fokussieren wir uns auf Brandenburg. Dieses Jahr gibt es eine interessante Entwicklung. Der hochwertige Convenience-Bereich steigt. Das hängt bestimmt damit zusammen, dass die Leute weniger essen gehen, aber gutes, gesundes, handwerklich hergestelltes Essen wollen. Die hochwertige Wildbolognese, die Sauerteig-Tiefkühlpizza, ein Knochenbrühenkonzentrat, da steigt die Vielfalt. Und Snacks, das ist das große Ding.
Welche?
Buchweizenchips, wie man sie aus Frankreich kennt, eine zuckerfreie Schokolade, die nachhaltig in Afrika hergestellt und gefriergetrocknete Süßigkeiten – das ist ein Tiktok-Ding: Wenn man eine Milchschnitte mit Stickstoff einfriert, dann pufft die auf, wird crunchy und fluffig. Die Jungen feiern das voll ab. Getränke sind immer ein großes Thema. Natürliche Wasserzusätze auf Teebasis, Limonaden mit Adaptogenen (ein Wirkstoff, der Stress bekämpfen soll, Anm. d. Red.), ein Erfrischungsgetränk mit Waldaromen als gesündere Limonade. Wobei: Ich würd die auch mit Gin kombinieren.
Sie sind in Marzahn aufgewachsen. Was war der Geschmack Ihrer Kindheit?
Kartoffeln mit Quark und Leinöl aus dem Spreewald beispielsweise, oder Senfeier. Bouletten habe ich immer geliebt. Nur am Sonntag gab‘s Fleisch, meist geschmortes, bei besonderen Anlässen Schweinefilet.
Warum spielt die Berliner Küche in Berlin kaum eine Rolle?
Ich finde, sie spielt wieder vermehrt eine Rolle. Solei, Eisbein, Mettigel, Häckerle tauchen hier und da auf den Speisekarten auf. Leber und Königsberger Klopse schon länger. Schusterjungen habe ich gerade bei der Bäckerei Domberger gesehen. Ich folge der Bäckerei Hacker – die auf Instagram Splitterbrötchen posten. Und Tim Raue setzt ja auch mehr auf Berliner Küche, im „Sphere“ etwa.
Neulich sagte der Koch und Stadtführer Itay Novik, die Berliner Küche sei die schlechteste deutsche Regionalküche. Hat er recht?
Weiß ich nicht. Stimmt natürlich, dass im Umland wenig wächst, hier ist ja nur Sand. Das Preußische ist bisschen genussfeindlich, es muss nicht schmecken, es muss satt machen. Ein Erbe der Arbeiter- und Soldatenstadt. Und ja, in Berlin gibt’s mehr bayerische Restaurants als Berliner Restaurants. Dafür kann man so ziemlich alles hier ausprobieren. Wir sind ein melting pot. Die wahre Berliner Küche ist vielleicht vietnamesisch.
Wie oft gehen Sie eigentlich Essen?
In den sechs Monaten nach der Berlin Food Week so dreimal die Woche. Vor dem Festival fehlt oft die Zeit, dann esse ich häufiger zu Hause und probiere die Produkte aus, die wir im House of Food haben. Wenn wir was nicht mögen, nehmen wir es nicht rein. Und dann gibt es ja auch immer spannende Bäckereien, Patisserien und Feinkostläden, die ich natürlich auch besuchen möchte.
Lassen Sie uns über Berliner Foodtrends sprechen. Brot wird gerade oft als eigener Gang serviert. Würdigung des Handwerks oder komische Marotte?
Ich liebe Brot, ob vorneweg oder als Gang, Hauptsache es kommt – vor allem als Unterlage für die Butter. Im Grunde wäre ich auch mit einem Buttergang zufrieden.
Sharing Plates – vorbei oder geht noch?
Ich mag das immer noch. Es ist verbindend, gemeinschaftlich und ich möchte möglichst viel probieren.
Gerade verkaufen einige Restaurants Kaviar-Upgrades. Wenn man einen Gang bestellt, kann man für 13 Euro noch sechs Gramm Kaviar dazu haben.
Wirtschaftlich verständlich. Aber wenn ich schon mal Kaviar esse, dann mit Fokus auf das Produkt und nicht auf einem Teller, wo schon viel los ist. Da könnte ich drauf verzichten.
Menü oder À la carte?
À la carte. Weil es mir die Möglichkeit gibt, genau das zu bestellen, was ich gerne möchte, und ich auf die Dinge verzichten kann, die mich nicht reizen. Am liebsten gehe ich mit Menschen essen, die mit mir teilen. Aus der Gastroperspektive ist das nicht so wirtschaftlich, aber ich hätte auch mal auf zwei Gänge Lust. Dann würde ich auch häufiger kommen. Aber: Es wird wieder viel mehr À la carte angeboten.
Was bestellen Sie nie?
Dessert. Ich liebe Patisserie, aber da gehe ich lieber nachmittags in die supertollen handwerklichen Patisserien, wie etwa „Canal“ in der Linienstraße, sie bieten während der BFW sogar eine eigene Kreation für uns an. Abends, nach dem Essen, brauch’ ich das nicht mehr. Neulich hat mir mal wer zwei Pralinen hingestellt, das fand ich ganz toll.
Welches Restaurant hat Sie zuletzt überrascht?
Das „Luna D’Oro“ im Clärchens Ballhaus. Ein unglaublich großer Laden, der voll war mit ganz diversen Leuten, die Deutsch, Englisch und sonst was gesprochen haben. Tolle Vibes, eine gute, entspannte Stimmung. Ein wenig verkopfter Blick auf eine bodenständige Küche und trotzdem mit besonderen Elementen. Und mit vielen Berliner Gerichten.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: