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Den Toten nahe. Sabine Maas sorgt für das leibliche Wohl ihrer Gäste.

© DAVIDS/Sven Darmer

Dorotheenstädtischer Friedhof in Berlin-Mitte: Zum Kaffee mit großen Geistern

Der Dorotheenstädtische Friedhof hat jetzt ein „Café Doro“. Dort genießt man im stillen Gedenken an die Toten.

Das Besondere an diesem Ort mitten im städtischen Sturmgebraus ist seine Stille. Hinter den Mauern, die den Dorotheenstädtischen Friedhof von der Chausseestraße trennen, herrscht diese sprichwörtliche Totenruhe. Doch das Konzert der Vögel zwischen den Blättern alter Bäume, die Hitze des Sommers, der blaue Himmel über den Gräbern mit ihrem bunten Blumenschmuck und die Gewissheit, in der Gesellschaft bekannter Personen zu sein, geben diesem Spaziergang auf den Spuren großer Geister fast etwas an diesem Ort unerwartbar Beschwingtes.

Wer glaubt, den Prominentenfriedhof mit Brecht, Weigel und Heiner Müller zu kennen, irrt ein wenig: Auch ein Friedhof ist in Bewegung. Hier ein neuer Name, da ein neuer Stein. Wurde die lebensgroße Plastik von Martin Luther vorn am Eingang erneuert? Könnte man denken: Blendend weißer Marmor! Nein, sie wurde nur gesäubert, mit der Bürste geschrubbt. Noch sehr frisch wirken die Blumenkränze auf dem Grab von Johannes Grützke, dem Maler, dessen sterbliche Überreste vor Tagen hier in die Erde gelassen wurden. Ein Stein erzählt, dass Prof. Dr. Hans Pischner, der langjährige Staatsopernintendant und vorzügliche Cembalist, 102 Jahre alt war, als er im Oktober 2016 starb. Egon Bahrs Ehrengrab ziert das Bronze-Porträt des Mannes, der zusammen mit Willy Brandt das frühe Fundament zur deutschen Einheit legte, ein Foto der Diseuse Gisela May blickt vom neuen schneeweißen Steinsockel auf all die anderen, Erwin Geschonneck, Bernhard Minetti, Otto Sander, Frank Beyer, Christa Wolf zum Beispiel und Herbert Marcuse, der den Nachgeborenen mit einem Wort rät, was sie zu tun haben: „Weitermachen!“.

Auf einen Kaffee ganz in Ruhe

Das dachte sich vielleicht auch Sabine Maaß, die Sozialpädagogin aus Charlottenburg: Es gibt auf den Friedhöfen in Schöneberg und an der Bergmannstraße Orte, in denen man den Besuch auf einer Begräbnisstätte gewissermaßen in Ruhe ausklingen lassen kann. Das sind Cafés am Rande der Gräber. „Weshalb nicht auch auf dem Dorotheenstädtischen?“ Der Friedhofsverband Berlin-Stadtmitte stimmte zu, Sabine Maaß wurde Betreiberin und lenkt nun den neuen Betrieb auf dem um 1763 vor dem Oranienburger Tor angelegten Kirchhof – rechts neben der Kapelle, unter Bäumen, mit fast 50 Sitzplätzen.

Es gibt allerlei Kaffeekreationen und Tee, auch Torten und Kuchen aus eigener Bäckerei. Geöffnet ist das Café Doro am Wochenende von Freitag bis Sonntag, jeweils ab 13 Uhr. „Wenn die Leute herkommen, dann reden sie so vieles über Leute, die hier begraben sind“, sagt Sabine Maaß, „oder die russische Verwandtschaft eines Verstorbenen singt am Grab schwermütige Lieder und trinkt, nasdarowje, jede Menge Wodka“.

 Die Gedanken und Gespräche im Café Doro beziehen meist die prominenten Verstorbenen mit ein.
Die Gedanken und Gespräche im Café Doro beziehen meist die prominenten Verstorbenen mit ein.

© DAVIDS/Sven Darmer

Dazu Literatur über die Hausherren

Doris und Margitta, zwei rüstige Damen, kommen aus Köpenick als Bildungstouristen und bedanken sich überschwänglich „für diese Oase mitten in der Großstadt“, in der man bei vielen Namen sofort Gesichter und Geschehnisse miteinander verbindet. Eine Reise in die Vergangenheit mit einem Cappuccino in der Hand. Das Café hat auch Bücher von und über Menschen, die hier beerdigt sind: Hegel, Fichte, Inge Keller, Christa Wolf, Wolfgang Herrndorf, Brecht natürlich. Die Liste ist lang. Wer so ein Buch zum Schmökern mitbringt, wird freundlich empfangen.

Aber wie kommt Walter Ulbricht in diese Reihe? Der ruht doch in Friedrichsfelde? Ja, aber über den Sachsen, der einmal ein „Staatsvolk“ regierte, hat Johannes R. Becher ein hymnisches Buch geschrieben. Und der Dichter ist’s, der hier begraben liegt. Nahe Hanns Eisler, der Bechers Worte zur DDR-Nationalhymne vertonte. Jenes Lied, das nicht mehr gesungen werden durfte. Wegen der drei Worte „Deutschland, einig Vaterland“. Na und? Jetzt haben wir’s doch, das einig Vaterland. Aber was wird gesungen? Ein Lied von 1841. Mit „Germany first“. Das geht nun auch wieder nicht. Viel Stoff für einen Nachmittagskaffee bei den werten Toten.

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