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Berlin: Edgar Domin (Geb. 1955)

Die Band provoziert und versöhnt dann alle mit ihrem „Friedenslied“

Klangforscher und freier Radikaler, Acid- Head und Genussmensch, Anarchist und Mao-Fan, Edgar hatte viele Facetten und Lebensphasen. Geboren in Bremerhaven, lassen sich er und sein Schulfreund Volker treiben. Die Haare lang, erste Rauscherfahrungen, Kleinstadtrebellen im Sog des Zeitgeistes. Mit 15 abonniert Edgar die maoistische „Peking Rundschau“. Der Vater, Steward auf einem Kreuzfahrtschiff, drei Monate im Jahr anwesend, hat für die Gammler wenig Verständnis, die Mutter, eine Wienerin, lässt mehr durchgehen. Das Gymnasium eine Tortur, danach kommt erst mal wenig. Volker ist mittlerweile in Amerika und schickt mit der Post Trips. Timothy Leary, der zum Staatsfeind der USA apostrophierte LSD-Papst ist ihr Held. Drogenkonsum als subversiver Akt, Bewusstseinserweiterung als Revolution.

Illegal ist das alles auch. Nicht nur vor dem Wehrdienst flüchtet Edgar nach West-Berlin, Volker wartet schon. Schnell finden sie Anschluss an die Anarcho- Szene, die ersten Hausbesetzungen, alles scheint möglich. Sie arbeiten, Volker als Schriftsetzer, Edgar als Koch. Die Punk- Rebellion nehmen sie begeistert auf, im „Fronttheater“ erste künstlerische Gehversuche. Sie wollen den Soundtrack zum Untergang machen: Zunächst die kurzlebige Band „Vollgas“, sie rasen mit Motorrädern, auf denen nackte Amazonen sitzen, durchs Publikum. Mehr Happening als Musik, aber selbst die Rocker haben Respekt. 1978 dann der Coup, das „Mekanik Destruktiw Komandöh“ – „MDK“ – eine Hommage an die französische Avantgardeband „Magma“. Von den fünf Musikern leben inzwischen nur noch zwei.

Volker schreibt und schreit die Texte, eine Rampensau, Edgar spielt den Bass. Plattenproduktionen, Tourneen durch Deutschland und Europa, in der Hand behalten sie nichts. In West-Berlin haben sie Kultstatus, im „SO36“ sind sie die Hausband. Oft kommt es zu Tumulten, Skins, Punks und Hippies haben wenig Gemeinsamkeiten. Die Band provoziert und versöhnt dann alle mit ihrem „Friedenslied“: Was ist uns geblieben / Außer zu kämpfen und zu siegen / Und zu lieben. Dann flackern die Feuerzeuge. Sie werden als Nachfolger der legendären „Ton Steine Scherben“ gehandelt, Nina Hagen ist Gastsängerin, sie spielen Soli-Konzerte für die linke Szene. Und inszenieren sich als Homosexuelle und Skins, um Toleranzgrenzen auszuloten. „Kriegserklärungen an die Dummheit“ nennen sie ein Album.

An Edgars Seite ist seit 1979 Ute, sie liebt den großzügigen, intelligenten Gesprächspartner, den leidenschaftlichen Koch und Gastgeber. Langweilig wird es mit ihm nie.

Dann die Amerika- Tour 1983, 32 Auftritte in 27 Städten: Sie spielen mit späteren Weltstars wie den „Smashing Pumpkins“, müssen um ihr Tagesgeld kämpfen, haben ein massives Drogen- und Desillusionierungsproblem. Ein Abschiedskonzert im „SO36“, das war’s dann. Volker wird erfolgreicher Gastronom, Edgar steht lieber vor als hinterm Tresen. Geld verdient er anderweitig, Ute und er reisen viel, vor allem Richtung Osten, Baltikum, Sankt Petersburg. Das zusammenbrechende Riesenreich beobachten sie mit der Faszination verpeilter Ethnologen. Edgar kennt viele, Professoren, Künstler und Verbrecher. Dem aidskranken Künstler Georgij Gurjanow kauft er seine Bilder ab: monumentale Körperbilder im post-totalitären Stil.

Sound macht der autodidaktische Ausnahmemusiker nur noch in klandestinen Zirkeln, bis Techno die ganze Stadt in den Bann zieht. Mit TV Victor, einem Elektronik-Genie, scheint das gemeinsame Projekt „Gagarin Kongress“ nochmals eine Punktlandung zu schaffen. Der „Tresor“ pusht beide, Platte, Liveauftritte, Edgars Bass ist in den Industriebrachen körperlich spürbar. Alles scheint zu stimmen.

Aber Edgar ist älter und kaputter. Er hört Stimmen, die ihm Böses sagen, seine Persönlichkeit verändern. Er verliert nicht nur sein Lachen. Paranoide Schizophrenie, nach 20 Jahren muss Ute sich selbst retten. Psychiatrie, Entzüge, Tabletten, Alkohol, er weiß, wie es um ihn steht, alle Möglichkeiten der Betäubung nutzend. Fernanda wird seine neue Freundin, er ist ein anderer als früher.

Erst im letzten Jahr leichte psychische Stabilität, ein teures Medikament wirkt. Eine letzte CD als Eigenproduktion: „Die Mauer“, sie bleibt unbeachtet. Er hat das Gefühl und die Härte verloren. In seiner Stammkneipe „Zum Elefanten“ trinkt er morgens eisgekühlten Chardonnay und liest die Springerpresse wegen der großen Schrift. Anschließend zerknüllt er die Zeitungen. Es gibt nichts mehr zu sagen. Kein Kampf geht weiter.

Die letzten Fotos aus dem Krankenhaus, Edgar mit Augenklappe. Er weiß, wie es um ihn steht und macht keine Faxen. Die Ärzte haben es ihm schon gesagt. Er braucht keine neue Brille mehr. Ein Abschied ohne Zeit. Ute und Fernanda besuchen ihn mit Wein und Zigaretten, so hat er es sich gewünscht. Erik Steffen

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