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Anfang November 2020 wurde in der Unterführung im Monbijoupark eine Rose und einer Kerze zum Gedenken an Mohammed abgelegt.

© Paul Zinken/dpa

Erstochen im Monbijoupark in Berlin: Zwölf Jahre Haft wegen Totschlags von 13-jährigem Mohammed

Nach einem Beinahe-Rempler zog ein 41-Jähriger ein Messer – und tötete den 13-jährigen Mohammed. Er berief sich auf Notwehr. Die Richter sahen den Fall anders.

Keine Notwehr sei es – „es ist eine unheimlich feige Tat“, sagte die Vorsitzende Richterin Regina Alex. Der 41-jährige Gökhan Ü. habe einem 13-Jährigen, schmächtig, einen Kopf kleiner, mit einem Messer in das Herz gestochen. Zuvor habe es einen rein verbalen Streit gegeben. Nicht der 13-jährige Mohammed sei aggressiv gewesen. „Es gab keine Provokation, keine Angriffsversuche und keinen Grund, ein Messer einzusetzen.“

Wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung ergingen gegen Gökhan Ü. am Montag zwölf Jahre Gefängnis. Damit folgte das Gericht dem Antrag des Staatsanwalts. Mohammed, genannt Momo, war in der Halloween-Nacht in Mitte mit Freunden unterwegs. Weil er auf ein Handy schaute, passte er nicht richtig auf.

Im Tunnel zwischen James-Simon- und Monbijoupark, direkt unter der Stadtbahn, kamen Gökhan Ü. und eine Frau entgegen. Sie liefen Hand in Hand. Es war ihr zweites Date. Die Frau musste einen Schritt zur Seite machen, um nicht angerempelt zu werden. Diese banale Situation löste bei Ü. eine Wut aus. Er begann einen Streit.

Der Angeklagte habe das Messer zwar nicht mit der Absicht gezogen, den Jungen zu töten, befand das Gericht. Er habe aber mit bedingtem Vorsatz gehandelt und in Kauf genommen, dass der 13-Jährige sterben könnte. Ü. habe den Jungen „maßregeln, ihm Respekt beibringen, vielleicht auch ein bisschen bestrafen“ wollen. „Er wollte als Sieger vom Platz gehen.“

"Momo, wir vermissen dich"

Der zehn Zentimeter tiefe Stich durchdrang das Herz. Mohammed verstarb noch am Tatort. Ein 22-jähriger Begleiter des palästinensischen Jungen habe Ü. festhalten wollen. Erneut setzte Gökhan Ü. sein Messer ein. Ahmed S. wurde im linken Brustbereich schwer verletzt.

Als knapp ein halbes Jahr später der Prozess begann, saßen Momos Eltern als Nebenkläger im Saal. Sie trugen weiße T-Shirts mit einem Foto ihres Sohnes, umrahmt von einem roten Herz. „Momo, wir vermissen dich“, stand darauf. Sie brauchten viel Kraft für den fünfwöchigen Prozess. Nach dem Urteil sagte der Vater verzweifelt: „Aber mein Sohn ist tot.“

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Mohammed war sieben Jahre alt, als die Familie auf der Flucht vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland kam. Sie hatten in einem palästinensischen Flüchtlingslager bei Damaskus gelebt. „Wir sind tagelang durch Berge gelaufen, sind mit einem Schlauchboot gefahren, Wasser kam rein – Momo dachte, er würde sterben“, sagte die Mutter. „Wir sind nach Deutschland gekommen, damit unsere Kinder nicht getötet werden. Dann kommt so einer und bringt ihn um.“

Die Begleiterin wollte den 41-Jährigen besänftigen. Im Prozess sagte sie, Ü. sei sauer geworden, habe „krass überreagiert“. Der Junge habe nur eine Gegenfrage gestellt, habe nicht beleidigt. „Lass uns weitergehen“, habe sie gedrängt. Dann seien mehrere Jungs gekommen.

Aus Sicht des Gerichts waren es nicht Momos Begleiter. „Es blieben möglicherweise junge Leute aus Zivilcourage stehen.“ Eine körperliche Bedrohung gegen Ü. habe es nicht gegeben. Aus der Aussage der Begleiterin von Ü. habe sich ergeben: „Es gab keine Schläge und auch keine angedeuteten Schläge.“

Laut Richterin keine rassistischen Motive

Ü. schickte die Frau weg. „Er herrschte sie an“, hieß es. Nur sie hätte ihn als Zeugin identifizieren können. Aus Sicht der Richter ahnte sie, dass etwas passiert. Sie ging. Eine halbe Stunde nach der Tat habe sie Ü. erneut getroffen. Er habe erklärt: „Der kleine arabische Hurensohn ist an den Falschen geraten.“

Die Anwälte der Eltern hatten auf lebenslange Haft wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen plädiert. Rassismus habe eine Rolle gespielt. Die Richter kamen zu dem Schluss: „Rassistische Motive sehen wir nicht.“ Der Satz sei nicht bei der Tat gefallen. Auslöser für das Geschehen sei ein Beinahe-Rempler gewesen. „Sein Motiv war: Er wollte der Dominante sein, der Sieger.“

Die Richterin zitierte eine Gutachterin: „Er will nicht der schwache Mann sein. Weil er intellektuell nicht in der Lage ist zu imponieren, plustert er sich körperlich auf.“ Gökhan Ü., ein gelernter Fleischer, hatte sich im Prozess auf Notwehr berufen. Er habe den Jungen nur angesprochen, weil er dessen Verhalten „respektlos“ gefunden habe. Dann hätten sich vier junge Männer zu dem Jungen gestellt.

Sie hätten die Fäuste geballt. Das Messer habe er „zur Selbstverteidigung gegen mehrere Personen“ gezogen. Er habe aber „keinen bewussten Stich“ gesetzt. Die Eltern des Jungen bat er um Entschuldigung. Seine Anwältin hatte Freispruch verlang. Sie kündigte Revision an.

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