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„Es kam die dritte Brandleiche in zwei Wochen“: Rechtsmediziner Michael Tsokos sagt im Prozess gegen Berliner Palliativarzt aus
Ungewöhnlich viele Brandleichen in zwei Wochen – das wunderte Professor Michael Tsokos, Deutschlands wohl bekanntesten Rechtsmediziner. Am Montag sagte er im Mordprozess gegen einen Palliativarzt aus.
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Der Rechtsmediziner wunderte sich vor den Sommerferien 2024. „Es kam die dritte Brandleiche in ein oder zwei Wochen.“ Das sei für Berlin viel, sagte Michael Tsokos nun im Prozess gegen Palliativarzt Johannes M. wegen Mordes in 15 Fällen. Am 22. Prozesstag wurde der Professor für Rechtsmedizin, international anerkannter Forensik-Experte und erfolgreicher Autor, als Gutachter befragt.
Erstmals ging es in der seit fünf Monaten laufenden Verhandlung um eine Exhumierung. Tsokos war dabei, als am 28. Oktober 2024 auf einem Friedhof in Gatow der Leichnam einer Frau ausgegraben wurde. Kadiatou D. war gerade einmal 25 Jahre alt, als sie am 22. September 2021 starb. In den letzten drei Monaten ihres Lebens soll sie von Johannes M. betreut worden sein. Wöchentlich sei er zur Visite in der Wohnung in Britz gewesen, wo sie mit ihrer Mutter gelebt hatte.
Die 25-Jährige soll laut Anklage das erste Opfer des mutmaßlichen Serienmörders gewesen sein. Als Mitarbeiter eines Pflegedienstes begleitete Johannes M. schwerstkranke Menschen, um deren Schmerzen zu lindern. Doch zwischen 2021 und Juli 2024 soll er sich als „Herr über Leben und Tod“ geriert haben.
Zwölf Frauen und drei Männer, 25 bis 94 Jahre alt, soll er jeweils mit einem tödlichen Medikamenten-Gemisch aus einem Narkoseeinleitungsmittel und einem Muskelrelaxans ermordet haben. Die Mixtur habe schnell zum Atemstillstand geführt. Bei mehreren Taten habe er Feuer gelegt, um Spuren zu verwischen. Bislang schweigt der 41-Jährige zu den Vorwürfen.
Als sich der Verdacht gegen ihn erhärtete, wurden immer mehr Exhumierungen angeordnet. Von 15 war die Rede, als der Prozess begann. Doch es könnten noch viel mehr werden. Die Ermittlungen sind längst nicht abgeschlossen.
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Rund drei Jahre nach dem Tod der 25-Jährigen kam es zur Obduktion im Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin Berlin unter Leitung von Tsokos. Der Experte schilderte im Prozess nun Details. Die Mumifizierung sei nach drei Jahren im Erdgrab „weit fortgeschritten“ gewesen. Die Obduktion habe nicht zur Klärung der Todesursache geführt, so der Rechtsmediziner. Sie habe sich erst aus der veranlassten chemisch-toxikologischen Untersuchung ergeben.
Rückstände von Medikamenten wurden gefunden – neun Substanzen, so Tsokos. Darunter ein Muskelrelaxans, das ambulant überhaupt nicht verabreicht werde. Er zitierte das Fazit von Toxikologen: „Der Medikamentencocktail ist die Todesursache.“
Ein Toxikologe hatte im Fall eines anderen Opfers vor Gericht erklärt, das Medikament zur Muskelentspannung werde als Teil einer Anästhesie eingesetzt und sorge für eine Lähmung der Muskelgruppen, der Einsatz erfolge nur bei gleichzeitiger Beatmung.
Tsokos, der Hunderttausende Follower in den sozialen Medien hat und aus dem Fernsehen bekannt ist, soll im Mordprozess gegen den promovierten Mediziner zu einem späteren Zeitpunkt zu weiteren Fällen befragt werden. Der Prozess war zunächst bis Ende Januar terminiert. Inzwischen gibt es weitere Verhandlungstage bis zum 4. Mai 2026.
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