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Berlin: Ethnologen untersuchen die Gettos in Berlin und die Regeln, die sie schufen

Jung, dynamisch, erfolgreich: Wie das Neue Berlin auszusehen hat, ist schon mal klar. Man braucht nur in einer Ausgabe des "Spiegel" oder im "Geo special" nachzuschlagen oder einen der zahllosen Touristenführer zu kaufen.

Jung, dynamisch, erfolgreich: Wie das Neue Berlin auszusehen hat, ist schon mal klar. Man braucht nur in einer Ausgabe des "Spiegel" oder im "Geo special" nachzuschlagen oder einen der zahllosen Touristenführer zu kaufen. Weniger offensichtlich ist, wie viele Menschen von diesem modernen Berlin ausgeschlossen werden. "Es gibt Stadtteile und Straßen, deren Bewohner allein geblieben sind", sagt Peter Niedermüller, Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität: Diese Menschen haben zu wenig Geld, um am urbanen Leben teilzunehmen. Sie werden aus dem öffentlichen Raum heraus gedrängt - oft mit Spätfolgen für das soziale Gefüge.

Da ist der Schwarze, der im Kaufhaus von Angestellten eines Sicherheitsdienstes genau beobachtet wird. Seine Hautfarbe macht ihn verdächtig. Oder der Obdachlose, der sich nicht auf dem Bahnhof aufhalten darf. Oder die bosnischen Flüchtlinge, die durch deutsche Gesetze in die "Nische" ihres Wohnheims abgedrängt werden. Sich wie der Berliner Otto Normalverbraucher eine Wohnung zu suchen und Kontakt zu den deutschen Nachbarn aufzunehmen, ist für sie zumindest zu Beginn ihres Aufenthalts fast unmöglich. In Anlehnung an ein Buch des Soziologen Norbert Elias über "Etablierte und Außenseiter" haben jetzt Ethnologie-Studenten untersucht, welche Konsequenzen diese Gettoisierung hat.

Getto contra Völkerfreunschaft

Halina Hackert-Lemke und Heidrun Unterbeck fanden per Zeitungsinserat Kontakt zu den Ostdeutschen, die zu DDR-Zeiten die vietnamesischen Vertragsarbeiter betreuten. Denn da die meisten asiatischen Kollegen längst wieder in ihre Heimat abgereist sind, muss ihr Alltag im nachhinein auf Umwegen rekonstruiert werden. Per Staatsvertrag wurden sie in den achtziger Jahren in verschiedene Industriebetriebe geholt. Sich im hiesigen Alltag zurechtzufinden, fiel den meisten schwer, konstatieren Hackert-Lemke und Unterbeck. Das hängt damit zusammen, dass die Vietnamesen durch verschiedene Regelungen faktisch in eine Nische der DDR-Gesellschaft gedrängt wurden, aus der zu entfliehen ihnen fast unmöglich war.

Wie die Interviews der beiden Ethnologinnen zeigen, stand diese Gettoisierung oft im krassen Gegensatz zur öffentlich angepriesenen Völkerfreundschaft. Selbst die Betreuer, die sich zum großen Teil ehrlich um die Integration ihrer Schützlinge bemühten, stießen immer wieder an Grenzen und auf Ungerechtigkeit. Ein Papier des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB vom September 1989 bemängelt, "dass ausländische Arbeitskräfte zunehmend die Schichtarbeit der Deutschen übernehmen." Sie mussten überdurchschnittlich viel Schmutz und Lärm ertragen. Echte Freundschaften oder gar Liebesbeziehungen zu Einheimischen waren selten. Die asiatischen Kollegen wurden oft wie Kinder behandelt, manche redeten ihre Betreuer mit Mama und Papa an. "In vielen Wohnheimen war festgelegt, dass alle Bewohner bis spätestens 22 Uhr zurückzukehren hatten", berichten die Autorinnen. Während jedem DDR-Bürger im Gesetz mindestens zwölf Quadratmeter Wohnfläche zugebilligt waren, standen den Vietnamesen nur fünf Quadratmeter zu. Diese wurden freilich meist überschritten. Doch sie durften sich nicht selbst eine Mietwohnung suchen.

Zwei andere Ethnologinnen - Diana Jahn und Franka Schneider - begleiteten bosnische Flüchtlinge im heutigen Berlin. Auch hier zeigt sich die fatale Abschiebung in Nischen der deutschen Gesellschaft. Der öffentliche Raum "gehört" den Etablierten, die Außenseiter bleiben außen vor. Da ihr Wohnheim mitten in einer deutschen Siedlung steht, sind Konflikte mit Einheimischen auf der Tagesordnung. Diese wollen "das Haus totmachen", wie die Heimleiterin erzählt: Sie beschweren sich über Lärm und Dreck, darüber, dass die Flüchtlinge ihre Teppiche auf dem Hof waschen. Die seien hier in Deutschland und sollten sich den hiesigen Gegebenheiten anpassen, heißt es immer wieder. "Anpassen heißt, es gelten die deutschen Feiertage, Kinder gehören nicht auf die Straße", berichten die Autorinnen.

Es hagelt Anrufe, Beschwerden und sogar Briefe an den Bürgermeister. Eine ältere Frau sagt, dass sie "die Flüchtlinge vergasen möchte". Hinzu kommen die "Hinweisschilder", welche die hiesige Gesellschaft aufgestellt hat - Gesetze, Regelungen und Behördengänge, die zu absolvieren sind. Obwohl aus deutscher Sicht notwendig, (ver)formen sie den Alltag der Neuankömmlinge nachhaltig und erschweren auch die Integration.Die Aufsätze der Studenten sind im Heft "Zwischen Räumen. Studien zur sozialen Taxonomie des Fremden" enthalten. Es kann für 12 Mark beim Institut für Europäische Ethnologie (Telefon 3087 4354) bestellt werden.

Josefine Janert

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