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Berlin: Faustrecht im Szenebezirk

Wenn Ingenieure, Ärzte und Anwälte zuschlagen: Boxen wird immer beliebter – in einer Leichtversion

Am Anfang war die Lust an der Gewalt. „Ich wollte einfach mal jemandem eins reinhauen“, sagt Markus Waitschies. Ganz ernst meint er das nicht. Denn als er begründet, warum er seit einem Jahr zum Boxtraining geht, muss der angehende Jurist lachen. Wie ein Schläger sieht der 33-Jährige auch gar nicht aus, im Gegenteil: Markus ist ein filigraner Typ, leuchtend blaue Augen, fröhliches Gesicht. An drei Abenden pro Woche trifft er sich mit dreißig anderen Männern zum Boxtraining in der Franz- Mett-Sporthalle in Mitte. Zehn Sandsäcke hängen von der Decke. Am Ende des Raumes steht ein kleiner Boxring, daneben liegt der Eingang zum Kraftraum.

„Blut fließt hier selten“, sagt Trainer Uwe Harms vom Boxverein Post SV Berlin. Die Männer, die hier trainieren, sind Mitte zwanzig bis Anfang vierzig. Sie tragen vielfach angesagte Klamotten und Frisuren im Berlin-Mitte-Style. Unter ihnen viele Akademiker. Betriebswirte, Journalisten, Ingenieure, Anwälte. Auch ein Arzt ist dabei. Sie wollen sich austoben, Stress abbauen, ihre körperlichen Grenzen testen. Einige gehen nach dem Training noch mal zurück ins Büro, und Blessuren im Gesicht sind da nicht gern gesehen. Die meisten verzichten deshalb lieber aufs Kämpfen. Auch Markus reicht das zweistündige Trainingsprogramm: zum Warmwerden erstmal zwanzig Minuten Seilspringen und gegen Sandsäcke schlagen, anschließend Übungen, Mann gegen Mann, Schlagkombinationen gegen die Fäuste des Partners. Treffer ins Gesicht oder auf den Körper sind dabei nicht erlaubt. Und wer doch mal zuschlagen will, kann am Ende der Trainingsstunde noch in den Ring steigen, zum Sparring, wie die Boxer den Übungskampf nennen.

Was die Männer hier treiben, ist „Boxen light“, und das findet immer mehr Anhänger. Die Zahl der Berliner Freizeitboxer ist in den letzten beiden Jahren um dreißig Prozent größer geworden, sagt der Präsident des Berliner Boxverbandes, Hans-Peter Miesner. Er glaubt, dass es eine Mode ist: „Noch nie gab es so viele Berichte, Filme und Fernsehshows übers Boxen wie in den letzten Jahren.“ Das steckt an: „Die Männer wollen sich wieder verteidigen können.“

Als Straßenkämpfer sieht sich allerdings keiner aus der Boxtruppe vom Post SV Berlin: „Wir sind Salon-Boxer“, sagt Felix, während er um den Sandsack tänzelt. Felix ist 30 und schreibt gerade an seiner Doktorarbeit in Geschichte. Groß, schlank, halblange Haare. Seine Brille lässt er auch beim Boxen auf der Nase, in eine Prügelei war er noch nie verwickelt. Was Felix hier sucht, ist die sportliche Herausforderung: „Es ist schon ein Kick, in den Ring zu steigen“, sagt er und klingt plötzlich sehr mutig. Aber sein Professor und die andern Doktoranden dürfen auf keinen Fall wissen, dass er boxt. Seinen Nachnamen will er deshalb lieber nicht sagen. Könnte einen schlechten Eindruck machen, befürchtet er. Dabei hat auch Felix nur selten Lust aufs Sparring. Ein blaues Auge hatte er noch nie.

Boxen, sagt Trainer Uwe Harms, hat mit Prügeln nichts zu tun. Im Gegenteil: „Wer Kampfsport betreibt, hat es nicht nötig, die Herausforderung auf der Straße zu suchen.“ Trainer Harms kennt sich aus. Der 52-Jährige war siebenmaliger Ost-Berliner Meister im Mittelgewicht bis 75 Kilo. Er freut sich, dass sein Sport in den vergangenen Jahren aus der Schmuddelecke herausgekommen ist und jetzt sogar zum Trendsport wird, für den sich Berlin-Mitte-Jungs interessieren. Fast jede Woche ist ein neues Gesicht dabei, mittlerweile auch zwei Frauen. In den dreißig Berliner Boxvereinen sind insgesamt 135 Boxerinnen gemeldet. „Ein optimaler Ganzkörpersport“, sagt der Trainer, „auch für Bauch, Beine, Po.“

Julia Tölke, 31-jährige Diplompädagogin, ist eine der Hobbyboxerinnen vom Post SV. Sie trainiert ausdauernd und mit viel Körpereinsatz, aber in den Ring würden die Männer sie nicht lassen. Boxen, da sind sich Markus, Felix und Carsten einig, ist Männersport. Keiner von ihnen kann sich vorstellen, beim Sparring gegen eine Frau anzutreten. „Beim Kampf hat man das Ziel, den Gegner körperlich auszuschalten“, sagt Felix und rückt mit dem Boxhandschuh seine Brille zurecht.

Für heute hat das Training gereicht. In den Ring steigen die Jungs vom Post SV vielleicht beim nächsten Mal. „Wollen wir noch ein Bier trinken gehen?“, fragt Felix. „Heute lieber nicht“, antwortet Markus, „ich habe morgen ein Gespräch mit meinem Chef.“

Linda Tüting

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