Berlin: Gott beruft Einzelne, die Welt zu ändern Steglitzer Baptisten feiern Israel-Gottesdienst
„Wo holt sie das her“, flüstert eine Frau ungläubig. Vorne vor dem Chor steht eine kleine, zierliche Frau mit langen rotblonden Locken, die mit ihrer kraftvollen Stimme die ganze Kirche füllt.
„Wo holt sie das her“, flüstert eine Frau ungläubig. Vorne vor dem Chor steht eine kleine, zierliche Frau mit langen rotblonden Locken, die mit ihrer kraftvollen Stimme die ganze Kirche füllt. Avitall Gerstetter ist Vorsängerin in der jüdischen Gemeinde zu Berlin, die einzige Kantorin Deutschlands. An diesem Tag feiert sie mit der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde der Baptisten in Steglitz den Israel-Gottesdienst. Ein wenig fremdartig klingen ihre Lieder, die in dem voll besetzten, hellgelb gestrichenen Kirchenraum melancholische Feierlichkeit verbreiten.
Seit zehn Jahren feiert die Gemeinde diese Form des Gottesdienstes. Genauso lang besteht der Shalom-Chor, der jüdische Lieder singt und an diesem Tag Avitall Gerstetter begleitet. „Christen und Juden müssen einander kennen und schätzen lernen“, sagt Pastor Peter Muskolus. Aus der jüdischen Gemeinde sind allerdings nur Freunde der Kantorin gekommen, und die, die mit dem Shalom-Chor zu tun haben. Besonders kommuniziert wird der Israel-Gottesdienst offenbar nicht.
Für die Predigt hat Peter Muskolus eine Stelle aus dem 1. Buch Mose gewählt. (Genesis 12, 1-4). Jahwe befiehlt Abraham, seine Familie ins heilige Land zu führen. „Durch dich sollen gesegnet sein alle Geschlechter der Erde“, sagt er ihm. Viele fragten sich, warum Gott angesichts des menschlichen Leids nicht eingreife, beginnt Pastor Muskolus seine Interpretation. „Doch Gott verändert nicht die gebrochene Welt, sondern er beruft Einzelne, um zu verändern. So wie Abraham.“ Berufen fühlen müsse sich aber jeder, und helfen so weit es ihm eben möglich ist. Und das heilige Land, in das der Berufene aufbrechen soll, sei immer ein anderes, so Muskolus: „Es kann auch die Synagoge, die Moschee oder die christliche Gemeinde sein.“
Anne Seith