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Er sucht Antworten. Auf die Mutterfrage. Auf Frauenfragen im Allgemeinen.

© privat

Nachruf auf Bruno Rossi Geb. 1943: Herr Rossi sucht das Glück

Träume, denkt er, müssen nicht nur die bloßen Gedankenspiele eines Teenagers bleiben. Ein Nachruf auf Herrn Rossi.

Herr Rossi ist eine bekannte italienische Trickfilmfigur. Er trägt ein rotes Jackett und einen roten Hut, er hat dunkle Haare und dunkle Augen, aus denen er freundlich in die Welt schaut, obwohl ihm der Grund dazu oft fehlt. Denn immer gibt es jemanden, der ihn verzagen lässt an diesem Leben. Also macht er sich auf den Weg. Vielleicht ist es ja doch irgendwo zu finden, das Glück.

Auf das auch Bruno Rossi hofft, unaufhörlich. Bruno Rossi ist keine Trickfilmfigur. Er ist ein Neapolitaner, der in Berlin lebt, und wenn er seinen Namen nennt, sagen die Leute vergnügt: „Ah, wie der Herr Rossi aus den Filmen“, schauen ihn dann genauer an und stellen fest, dass auch er, Bruno, dunkle Haare hat und dunkle Augen, zwar keinen Hut trägt, aber Jacketts, und freundlich in die Welt schaut, obwohl ihm, wie sie früher oder später erfahren, der Grund dazu oft fehlt.

Und sie erinnern sich an die Filme und an die Titel der Filme und sind verblüfft, dass man das Leben des einen entlang des Lebens des anderen erzählen kann.

Herr Rossi träumt. Bruno hängt seinen Gedanken nach. Er malt sich, mit zehn, mit zwölf, ein Leben aus. Ein buntes Leben, ein beschwingtes. Aber dazu muss er weg. Weg aus Neapel. Vor allen Dingen weg von der Mutter.

Er sagt nichts Genaues über sie, was ihre gespensterhafte Gestalt jedoch erwartungsgemäß nicht vertreibt. Zu zweit sozusagen machen sie sich also auf den Weg, durch halb Europa, es ist herrlich, so farbig ist die Welt, so vielfältig, dass er den Kindheitsspuk sogar hin und wieder vergisst.

Die Frauenfrage und die Mutterfrage

Er arbeitet überall, wo er gerade Halt macht, als Elektriker, als Kellner, bis er Ende der Sechziger in Berlin landet. Und sich entschließt zu studieren: Germanistik und Romanistik. Er unterrichtet in Berlin, er dolmetscht. Träume, denkt er, müssen nicht nur die bloßen Gedankenspiele eines Teenagers bleiben.

Herr Rossi sucht eine Frau. Bruno mag Frauen, doch, doch, Mutter hin, Mutter her. Er mag hübsche Frauen, und begegnet er einer auf der Straße, schaut er ihr nach. Doch gibt es auch Frauen, für die er nicht nur einen träumerischen Augenblick lang auf dem Trottoir stehen bleibt.

Zwei Beziehungen, zwei Kinder, Marco und Lion. Aber es klappt nicht mit den Frauen, und so kann er auch nur sporadisch für die Söhne da sein.

Herr Rossi geht zum Psychiater. Bruno interessiert sich außerordentlich für seine Seele. Er sucht Antworten. Auf die Mutterfrage. Auf Frauenfragen im Allgemeinen. Auf Fragen, die sich aus gescheiterten Freundschaften ergeben. Aus gescheiterten Männerfreundschaften. Er sagt, Freunde haben ihn verraten.

Aber er ist auch leicht zu kränken, ein, zwei falsch gewählte Worte schon können zum Bruch führen. In solch einem Moment trifft er auf einen Mormonen, lässt sich missionieren. Die Mormonen sind für ihn eine Gruppe Aufrechter, die andere nicht manipulieren. Er fühlt sich angenommen. Er hofft auf inneren Frieden, eine versöhnlichere Haltung in Hinsicht auf die Muttermisere.

Hat Bruno es gefunden, das Glück?

Herr Rossi macht Sport. Bruno liebt Tennis. Denn er ist, bei allen Seelenverschlingungen, ein fröhlicher Mensch. Das Leichte fehlt ihm zuweilen an den Deutschen, so sehr er ihre Zuverlässigkeit schätzt. Er sieht noch einmal Pasolinis „Accattone“ und erklärt seinen deutschen Freunden, dass dieses Wort in Italien zu einer stehenden Wendung geworden sei, Leute bezeichnet, die in den Tag hineinleben.

Ein wenig „accattonischer“, denkt er, könnten die Deutschen bisweilen schon sein. Die neapolitanischen Zustände hingegen sind selbst ihm zu viel.

Einen Oscar für Herrn Rossi. Bruno ist Statist und Kleindarsteller beim Film. Er spielt Improvisationstheater. Er führt Touristen durch Berlin und nimmt sich vor, auch Stadtführungen durch Neapel anzubieten. Doch dazu kommt es nicht mehr. Er stirbt zuvor.

Herr Rossi sucht das Glück. Hat Bruno es gefunden, das Glück? Vielleicht, hin und wieder, in diesen kleinen magischen Momenten. Wer weiß. Sterben wollte er auf keinen Fall, bäumte sich auf gegen den Tod. Lag im Krankenhausbett und sagte: „Ist das schwer, am Ende des Lebens.“

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