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Berlin will seinen Ansatz in der Obdachlosenhilfe grundlegend ändern. "Housing first" heißt die neue Maßgabe.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

„Housing first“ als Leitlinie: Berlin will Wohnungsvermittlung bei der Obdachlosenhilfe Vorrang geben

Interventionsteams gegen Wohnungsverlust, Kooperationen mit Jobcenter und Sozialämtern: Ein neuer Plan soll Obdachlosigkeit in der Hauptstadt bis 2030 beenden.

Von Sonja Wurtscheid

Die rot-rot-grüne Regierung will Obdach- und Wohnungslosigkeit in Berlin bis 2030 beenden. Den dazugehörigen "Berliner Masterplan" stellte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) am Freitag vor. Demnach soll das Land künftig weniger die Folgen von Wohnungslosigkeit abfedern, als gezielter helfen, die Menschen in eigene Wohnungen zu bringen. Allerdings muss der Plan in der nächsten Legislaturperiode noch vom neuen Senat beschlossen werden.

Das Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden, habe die Europäische Kommission an die Mitgliedsstaaten ausgegeben, sagte Breitenbach. Kern des Berliner Programms ist "Housing first" (Wohnung zuerst). Diese Form der Hilfe sei nachhaltiger, weil Menschen zuerst einen Schutzraum gestellt bekommen, sagte die Senatorin.

Sobald sie nicht mehr den ganzen Tag Dinge organisieren müssten, etwa die Frage "wo kriege ich Essen her oder wo kann ich duschen", seien die Betroffenen offener für Hilfestellungen und Beratungsangebote. Bisher ist die Wohnungsvermittlung oft an Voraussetzungen gebunden - etwa dass Süchtige vorher eine Therapie machen müssen.

In einer eigenen Wohnung oder einer 24/7-Unterkunft haben die Menschen "die Chance, sich zu stabilisieren", sagte der Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Alexander Fischer (Die Linke). Das habe das Modellprojekt "Housing first" in den vergangenen zwei Jahren in Berlin gezeigt. Anders als bei der Kältehilfe, die Menschen nur drei bis vier Wochen offen stünden, seien diese Unterkünfte nicht befristet.

79 obdachlose Menschen bekamen in dem Modellprojekt eine Wohnung gestellt. Bis auf einen oder zwei seien alle in den Wohnungen geblieben und machten Ausbildungen oder anderweitige Qualifizierungen, sagte Breitenbach.

Voraussetzung war demnach, dass die Menschen Anspruch auf staatliche Leistungen haben und zustimmen, ein Mal pro Woche einen Sozialarbeiter in die Wohnung zu lassen. Die Entscheidung, sich von den Sozialarbeitern bei der weiteren Lebensgestaltung helfen zu lassen, liege aber bei den Menschen. Es gehe hier um Selbstbestimmung, sagte Breitenbach.

Interventionsteams sollen Zwangsräumungen verhindern

Selbstbestimmung soll auch die Leitlinie für das Berliner Programm sein. Der Verlust der Wohnung sei "viel zu oft der Startpunkt einer Talfahrt", sagte Staatssekretär Fischer. In der Verwaltung sollen deshalb Mechanismen geschaffen werden, um Anzeichen für einen drohenden Wohnungsverlust früher zu erkennen und Zwangsräumungen zu verhindern. Dazu sollen Fachstellen mit Interventionsteams in allen Bezirken eingerichtet werden. Solche Teams gibt es bisher in vier Bezirken, mit "sichtbarem Erfolg", wie Fischer sagte. Zu diesem Zweck sollen auch Kooperationsvereinbarungen mit Vermieter:innen und Jobcentern geschlossen werden für Wohnungsnotfälle. Das Land würde dann die Mietkosten übernehmen.

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Auch den Auszug aus einer Obdachlosenunterkunft will das Land beschleunigen, indem es sich künftig stärker an der Suche und Finanzierung beteiligt. Sofern eine Wohnung in Aussicht sei, die günstiger als eine Unterbringung in einer Unterkunft sei, sollten Jobcenter oder Sozialamt die Miete zahlen, sagte Fischer.

"Gestrandete" aus dem Ausland ohne Anspruch auf Hilfen

Problematisch sei indes, dass "gestrandete EU-Bürger:innen" keinen Anspruch auf diese Hilfe hätten, weil sie keinen Anspruch auf staatliche Leistungen hätten, sagte Breitenbach. Dasselbe gelte für illegalisierte Menschen.

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Gefragt nach den Kosten des "Berliner Masterplans", erklärte die Senatorin: "Ich sage: Es wird nicht teurer." Bisher gebe Berlin rund 338 Millionen Euro für die Bekämpfung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit aus. "Das ist sehr viel Geld", sagte Breitenbach. Man müsse sich die Frage stellen, ob man mit dieser Summe nicht "mehr machen kann und nachhaltiger wirtschaften - im Sinne der Menschen".

Die für das Land teuersten Unterbringungen seien unter anderem Notunterkünfte. Breitenbach verwies auf Finnland, wo es dank des Prinzips "Housing first" so gut wie keine Obdachlosigkeit mehr gebe.

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