Berlin: „Ich kann mir Heuchelei nicht leisten“
Wolf Biermanns Ehrenbürgerrede im Wortlaut: Abrechnung mit den Kritikern
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Nach langen Querelen ist Wolf Biermann endlich am Dienstag zum Ehrenbürger Berlins ernannt worden. Wir drucken – gekürzt – seine Rede ab. Den vollständigen Text können Sie heute in der Wochenzeitung „Die Zeit“ lesen. Die Red.
Nach dreißig Jahren hat sich für mich ein Kreis geschlossen. Im November 1976 überlebte ich die Ausbürgerung, und nun, im wiedervereinigten Berlin, erlebe ich eine Art Wiedereinbürgerung. Ja, meine Ausbürgerung erschien mir damals wie ein Sterben, doch sie erwies sich bald für mich als eine Renaissance, ich wurde endlich, mit vierzig Jahren, ein Weltenkind. Die Maulschlacht um diese 115. Ehrenbürgerschaft ist nun geschlagen. Mich hat das parteipolitische Possenspiel vor und hinter den Kulissen halb amüsiert und halb gekränkt. Das sei zugegeben: Auch ich werde lieber geehrt als diffamiert, werde lieber gelobt als getadelt, lieber gestreichelt als geschlagen – fragt sich allerdings immer wieder: Von wem! Und wann! Und warum!
Unter uns, Herr Bürgermeister Wowereit: Mich hat der schrille Parteienstreit hier mehr beruhigt als geärgert. Es bestärkt einen, wenn man sich seiner treuen Freunde und seiner treuen Feinde immer mal wieder vergewissern kann. Also genieße ich diese Ehrenbürgerschaft erst mal arglos wie einen Kuss der Stadt Berlin in meine Seele.
Ich schaute mir zu Hause in Altona die komplette Liste der 114 Berliner Ehrenbürger an und erkannte in diesem historischen Bilderbogen eine sympathische Tendenz in Richtung zivile Bürgergesellschaft. Im blutigen 20. Jahrhundert hat sich endlich die demokratische Traditionslinie Max Liebermann, Konrad Adenauer, Willy Brandt, Anna Seghers, Helmut Schmidt, Michail Gorbatschow, Marlene Dietrich und Heinz Berggruen durchgesetzt gegen dubiose Ehrenbürger Berlins aus den beiden deutschen Diktaturen. Dick durchgestrichen sind also solche Namen wie Hitler, Goebbels, Göring, Ulbricht und Honecker.
Wie viel nun die Stadt Berlin ausgerechnet ihrem 115. Ehrenbürger verdankt, wissen andere besser als ich. Und wüsste ich es, wäre ich nicht so blauäugig, es offen zu sagen. Was allerdings nicht die Stadt Berlin mir, sondern was umgekehrt: ich der Stadt verdanke, das weiß ich wohl und will es auch freimütig bekennen: Ich verdanke Berlin nicht viel – sondern fast alles. Nur hier konnte ich der werden, der meiner Mutter einziger Sohn Karl-Wolf in seiner Vaterstadt Hamburg gar nicht hatte werden wollen: der Biermann.
Erlauben Sie mir ein versöhnliches Wort zum parteitaktischen Hickhack um die Ehrenbürgerschaft. Ich danke den Abgeordneten der PDS, dass sie in kaderkrampfiger Geschlossenheit meine offenen und ehrlichen Feinde blieben. Die reaktionären Erben der DDR-Nomenklatura haben auch damit mal wieder einen Akt politischer Aufklärung geliefert.
Der Regierende Bürgermeister hingegen lieferte uns als Prolog seiner Lobrede den verständlichen Protest gegen meine Bemerkung über die schändliche Liaison SPD/PDS. Ich hatte diese auf der Buchmesse in Leipzig „Verbrechen“ genannt. Ich will dieses Wort korrigieren, im Sinne des berühmten Satzes von Talleyrand zu Napoleon: „Das war schlimmer als ein Verbrechen, das war ein Fehler.“
Ich weiß, dass einige Gäste hier und manche Journalisten vornehmlich darauf lauerten, ob und wie der gewiefte Bürgermeister Wowereit sich nun als Festredner elegant aus der Affäre zieht. Ich aber denke, es war gar keine Affäre, sondern eher ein kleines Lehrstück für nüchterne Realpolitik. Orientieren Sie sich getrost an meinem Lied, das ich ja auch für mich selbst geschrieben habe: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.
Ich sehe sogar eine gelegentliche Heuchelei in höchster Not als lässliche Sünde, wie auch eine Notlüge erscheint sie mir in einem milden Licht. Wer heuchelt, der kennt immerhin die Wahrheit, denn sonst würde er ja gar nicht heucheln. Ein Heuchler muss kein kompletter Lump sein, denn er erweist der Wahrheit indirekt ja doch die Ehre: Er kennt wenigstens das Wahre, das Richtige, das Bessere. Das extreme Gegenstück: Adolf Hitler – was der dachte, das sagte er und tat es dann auch. Sein fanatischer Wiedergänger in Teheran ist auch kein Tartuffe, denn er sagt ehrlich und öffentlich genau das, was er fühlt und denkt, was er vorhat und dann auch in die Tat umsetzen wird, also: die Endlösung der Judenfrage mit einer Atombombe auf das winzige Israel.
Der Zeitgenosse des Molière, François de la Rochefoucauld, hat das Lob der Heuchelei schon vor über dreihundert Jahren geistreich formuliert. Er lieferte uns das lebenskluge Bonmot: „Heuchelei ist eine Huldigung, welche das Laster der Tugend darbringt.“ Nur ich armer Hund habe – im Sinne einer déformation professionelle poétique – den Nachteil, dass ich leider leider leider nicht heucheln darf. Mein Publikum würde mir meine Heuchelei womöglich verzeihen oder auch gar nicht merken. Aber ach!, die Musen sind schreckliche Frauen. Sie haben eine überempfindliche Nase für den Gestank der Heuchelei. Und solange ich von der Muse der Dichtung Erato und von der Musikmuse Euterpe und von meiner schönen Frau Pamela noch geküsst werden möchte, kann ich mir Heuchelei einfach nicht leisten.
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