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Berlin: „Ich mit meinem Bioladen profitiere“ Kiezaktivist Markus Domsch

über Probleme und Proteste.

Herr Domsch, Sie wohnen seit 1993 im Graefekiez, betreiben seit 2001 den Bioladen „Laib und Käse“ und sind Mitbegründer der „Interessengemeinschaft Graefekiez“. Wie hat sich die Gegend in den vergangenen 18 Jahren gewandelt?

Als ich nach Kreuzberg gezogen bin, war es hier trister, es war nicht so viel Leben auf den Straßen, und es standen viele Gewerbeflächen leer. Ich habe mir von einem älteren Kiezbewohner sagen lassen, dass es immer mal wieder solche Phasen gab. Der Stadtteil hat sich aber langsam wieder herausgeputzt, bis zu dem Status, den wir heute haben: Es ist ein angesagter Kiez, in dem man gerne leben möchte.

Die Werner-Düttmann-Siedlung im südlichen Teil des Kiezes gilt noch immer als ein sozialer Brennpunkt. Wird sich auch das bald ändern?

Ich habe zumindest die leise Hoffnung. Ein Problem ist, dass die Urbanstraße den Kiez durchschneidet. Auf der einen Seite wohnen die Menschen vorwiegend in sozialen Wohnungsbauten, und es gibt hier keine Cafés oder Läden, in denen man sich trifft. Auf der anderen Seite stehen Gründerzeithäuser mit einer funktionierenden und interessanten Infrastruktur.

Wie gestaltet sich der Dialog zwischen diesen zwei Seiten?

Ich glaube, dass vielen Leuten Graefe-Süd suspekt ist und sie Vorurteile haben gegenüber den Menschen, die hier leben. Man sieht das an der Lemgo-Grundschule, an der etwa 80 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben, und von denen viele in der Düttmann-Siedlung wohnen. Das ist einigen deutschen Eltern schon seit Jahren ein Dorn im Auge und sie schauen, dass sie ihre Kinder auf eine andere Schule schicken. Sie befürchten, dass das Niveau der Schule nicht gut genug ist. Es wäre schön, wenn sich die Kinder hier mehr vermischen würden.

War ihr Kiez früher wirklich sozial homogener?

Nein, hier hat es schon immer eine starke gesellschaftliche Mischung gegeben. Das kann man an den alten Gründerzeithäusern noch erkennen: Vorne in der Beletage wohnten die Bessergestellten, hinten und in den Seitenflügeln die Angestellten und Arbeiter. Es haben hier schon immer reichere Bildungsbürger und Menschen, die nicht so viel Geld hatten, gewohnt.

Sie haben vor etwa zehn Jahren die „Interessengemeinschaft Graefekiez“ mit ins Leben gerufen. Wie sieht Ihr Engagement konkret aus?

Wir sind einfach ein loser Verbund von Leuten, die sich vorgenommen haben, etwas für ihren Kiez zu tun. Mal beseitigen wir Müll oder Hundehaufen, mal kümmern wir uns um neue Fahrradständer. Unsere praktische Arbeit wird aber im Moment total von der Gentrifizierungsdebatte überlagert. In den vergangenen eineinhalb Jahren wurden immer mehr Wohnungen in Eigentum umgewandelt und Menschen, die sich das nicht leisten können, werden verdrängt.

Wie wehren sich die Kiezbewohner dagegen?

Ganz unterschiedlich. Die Bereitschaft, etwas zu unternehmen, wächst gerade. Es ist aber schwierig, man braucht gute Nerven, muss sich juristisch gut beraten lassen und es in Kauf nehmen, manchmal lange Zeit unter üblen Bedingungen zu wohnen. Es wird sicher keinen Volksaufstand geben, aber die Bewohner starten immer wieder neue Aktionen, um auf die Umwandlungsproblematik aufmerksam zu machen. Vor kurzem hat eine Gruppe Schilder aufgestellt, die Häuser zeigen, die in einem Einkaufswagen liegen.

Leidet unter den sozialen Umwälzungen der Gemeinsinn im Kiez?

Auf der einen Seite schon. Wenn Bewohner weg müssen, die hier bekannt sind, ein soziales Netzwerk haben, dann zerplatzen nachbarschaftliche Gemeinschaften. Auf der anderen Seite ist es ja nicht so, dass danach Unmenschen herziehen. Wirtschaftlich betrachtet bringen sie dem Kiez sogar sehr viel, auch ich mit meinem Bioladen profitiere davon.

Werden die Anwohner nicht irgendwann müde, sich für ihr Viertel zu engagieren?

So eine Gefahr besteht. Ich merke im Moment auch bei mir selbst, dass ich vieles nicht mehr schaffe. Ich wollte etwa in diesem Sommer die morschen Schutzzäune, die wir um die Bäume herum angebracht haben, erneuern. Ich habe es leider nicht geschafft. Die Stadtreinigung hat sie dann abgerissen.

Das Interview führte Johan Dehoust.

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