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Berlin: „Ich weiß, dass es eine dunkle Seite in mir gibt“

Ralf M. tötete den Musiklehrer Joe R. und steht dafür jetzt vor Gericht. Sein Anwalt sagt: Der Fall des Kannibalen von Rotenburg war der Katalysator

Geduckt sitzt er auf der Anklagebank. Nur ab und zu zeigt Ralf M. sein bleiches Gesicht. Er hat ein abartiges Verbrechen begangen: „Ich weiß, dass es eine dunkle Seite in mir gibt“, heißt es in seinem schriftlichen Geständnis. „Auf der einen Seite fürchte ich mich hiervor. Andererseits übt diese Seite meiner Persönlichkeit nach wie vor eine nicht unerhebliche Faszination auf mich aus.“

Der 41-jährige Ralf M. muss sich seit gestern wegen Mordes vor dem Berliner Landgericht verantworten. Es sind wenige Sätze, die der Verteidiger für seinen Mandanten vorträgt. „Ich schäme mich. Ich wage es nicht, mich bei den Familienangehörigen und Freunden des Opfers zu entschuldigen.“ Die grauhaarige Frau auf der anderen Seite des Gerichtssaales hört die Worte und das pauschale Geständnis regungslos. Sie hat am 4. Oktober letzten Jahres, als aus den schrecklichen Fantasien des Angeklagten blutige Realität wurde, ihren Sohn Joe verloren.

Die beiden Männer kannten sich noch nicht lange. Ralf M. und der 33-jährige Musiklehrer Joe R. hatten sich im Internet kennen gelernt – bei einem Chat für Homosexuelle. Zweimal trafen sich der arbeitslose Anstreicher aus Neukölln und der Mann aus Friedenau zum Sex. Dann das dritte Treffen. Joe R. ließ sich fesseln, auch die Augen verbinden. Er hatte Vertrauen. Er ahnte nichts von den Vorstellungen, die Ralf M. seit 15 Jahren trieben.

Immer wieder stach Ralf M. mit einem Schraubendreher zu. Sein Opfer wehrte sich. Der Angreifer aber kannte keine Gnade. „Der Angeklagte handelte, um sich durch die Tötung und die geplante Schlachtung des Opfers sexuell zu befriedigen“, heißt es in der Anklage. Ralf M. öffnete den Leichnam und entfernte Organe. Einen Teil der Leiche lagerte er zum späteren Verzehr im Kühlschrank. Er aß dann aber nichts von seinem Opfer. Weil sich M. geekelt habe, sagt sein Anwalt.

Über die grausamen Details will M. im Prozess nicht sprechen. Auch nicht darüber, was er dachte und fühlte, wie er zu dem fähig sein konnte, das außerhalb des Fassbaren liegt. Vor dem Gerichtssaal erklärt sein Verteidiger: „Der Fall des Kannibalen von Rotenburg war der Katalysator.“ Der Ortsname ist seit drei Jahren Synonym für sexuell motivierten Kannibalismus. Armin M. aus dem hessischen Rotenburg hatte einen Berliner Ingenieur mit dessen Einverständnis vor laufender Videokamera getötet, zerlegt und teilweise gegessen.

Als der Fall bekannt wurde, habe Ralf M. „Blut geleckt“, sagt der Anwalt. „Bis dahin genügten ihm die Vorstellungen, dann aber wurde er gierig.“ Im Internet habe der Neuköllner den „Kick“ gesucht. Er habe Details zu Schlachtungen gefunden, sich kaum noch wegbewegt vom Computer. Die Fantasien trieben weiter und weiter. Bis er den gefesselten, völlig arg- und wehrlosen Joe R. in der Falle hatte. „Warum sind diese Foren nicht verboten“, schimpft Verteidiger Binder. „Es ist die Menschenwürde, die dort mit Füßen getreten wird. Der Staat muss ein Zeichen setzen.“

Rotenburg riss die Hemmschwellen ein. Doch vergleichbar sind die Fälle kaum. Joe R. wollte nicht sterben. Er hatte für den Abend des 4. Oktober Verabredungen getroffen. „Er war ein sehr zuverlässiger Mensch“, sagt der Lebenspartner des Opfers als erster Zeuge. Mit Freunden suchte er den Musiklehrer. Sie stießen auf eine Telefonnummer, die Joe R. kurz vor seinem Verschwinden angewählt hatte. Der Lebensgefährte rief an und sprach mit dem Neuköllner. „Er hörte sich an wie ein kleiner, harmloser Junge“, erinnert sich der Zeuge.

Zu diesem Zeitpunkt lag das Opfer bereits bestialisch zugerichtet im Schlafzimmer des Täters. Ralf M. war gewarnt. Er wollte fliehen, setzte sich ins Auto des Getöteten und fuhr Richtung Bayern. Doch die Flucht schien ihm sinnlos. Er war schon einmal davongelaufen. Aus seiner Heimat in der Nähe von Bremen. Weil sich in der ländlichen Gegend wegen seiner Homosexualität ein Berg von Schwierigkeiten auftürmte. M. dachte darüber nach, die Leiche zu vergraben. Am nächsten Tag aber entschied er sich für die Polizei. „Ich möchte ein Geständnis ablegen“, offenbarte er und wurde zunächst nicht ernst genommen.

Wie wirkte der Täter? War er verwirrt, zeigte er Reue? Ein Polizist sagt, Ralf M. habe einen introvertierten Eindruck gemacht, leise Richtung Boden gesprochen. Von Reue aber habe er nichts bemerkt. „Wenn ich in die Augen geguckt habe, hatte er ein inneres Lächeln.“ Als hätte der schlanke Mann, der so ordentlich wirkte, noch einmal Vergnügen an dem, was passiert war. Der Verteidiger hakt ein: „Wie wollen Sie das erkannt haben?“ Der Zeuge sucht nach einer Beschreibung: „Sein Gesichtsausdruck, die Art zu erzählen.“

Im schriftlichen Geständnis heißt es: „Ich weiß, dass ich in den nächsten Jahren unter gesicherten Bedingungen medizinisch behandelt werden muss.“ Der Anwalt spricht von einer „Tat wie im Affekt“. Es sei von verminderter Schuldfähigkeit auszugehen. Es ginge dann um eine Strafe zwischen 3 und 15 Jahren. Und um eine Unterbringung in der Psychiatrie.

Kerstin Gehrke

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