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Fanatisch bis in den Tod. Kämpferinnen in einem Propagandavideo der Terrormiliz IS. Viele Frauen setzten ihre Kinder dem Horror des heiligen Krieges aus

© dpa

Islamistin setzte Kleinkind dem Dschihad aus: Tochter nach jahrelangem Schrecken hochgradig traumatisiert – Prozess in Berlin

Nadia B. zog 2014 mit dreijährigem Kind zur Terrormiliz IS. Nun beginnt die Verhandlung gegen die Mutter, der die seelischen Qualen der Tochter egal waren.

Von Frank Jansen

Das Mädchen ist heute neun Jahre alt. Diese neun Jahre werden vermutlich das gesamte Leben ruinieren. Was die kleine Amina (Name geändert) als Tochter einer fanatischen Islamistin durchgemacht hat, erscheint unfassbar. Und doch wird es von diesem Donnerstag an öffentlich zur Sprache kommen. Die Mutter, Nadia B., muss sich vor dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts verantworten. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihr neben der Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung unter anderem vor, die Fürsorgepflicht massiv verletzt zu haben.

Die 31-jährige Frau war im Dezember 2014 mit ihrem Kind von Berlin in die Kriegsregion Syrien-Irak gereist, um sich der Terrormiliz „Islamischer Staat“ anzuschließen. Selbst der Kindsvater Wael C., auch ein Salafist und in Berlin als Gefährder eingestuft, wollte das nicht. Doch Nadia B., das ergeben Recherchen des Tagesspiegels, war in ihrem Wahn vom heiligen Krieg nicht aufzuhalten. Von den vielen harten Geschichten, die über Deutsche beim IS bekannt sind, ist dies eine der schlimmsten.

Amina war drei Jahre alt, als Nadia B. mit ihr in den Krieg zog. Die Mutter hatte sich in der Berliner Salafistenszene radikalisiert. Nadia B. war 2008 von Hessen nach Berlin gezogen, tat sich mit einem Salafisten zusammen und konvertierte zum Islam. Die Fanatisierung steigerte sich offenbar durch den Einfluss ihrer Partner.

Bis zur Ausreise zum IS heiratete Nadia B. mehrere Extremisten nach islamischem Recht. Das Schicksal der kleinen, im November 2011 geborenen Tochter, war für die Mutter offenbar zweitrangig. Und Amina musste mit zum IS, obwohl die Gefahren bekannt waren.

Die Terrormiliz hatte im Sommer 2014 Teile Syriens und des Irak überrannt. Die Islamisten verübten Massaker und errichteten ein Regime des Schreckens. Die im Feldzug gefangen genommenen Frauen und Kinder der ethnisch religiösen Minderheit der Jesiden wurden versklavt, Gegnern der Kopf abgeschnitten. Das alles wird Nadia B. gewusst haben, als sie mit ihrer Tochter beim IS ankam. Doch die Frau war begeistert.

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Kurz nach der Ankunft bei der Terrormiliz heiratete Nadia B. wieder, diesmal den Kämpfer Ahmed C. Als dieser an die Front musste und verletzt wurde, gab sich Nadia B. als Witwe aus und tat sich mit einem weiteren IS-Mann zusammen. Doch es kam heraus, dass Ahmed noch lebte. Die Terrormiliz bestrafte Nadia B. mit Peitschenhieben. Die Frau durfte allerdings beim IS bleiben und tat sich wieder mit Ahmed C. zusammen.

Die kleine Amina musste nicht nur den Stress aushalten, dass ihre Mutter mit wechselnden fanatischen Männern verkehrte und Ärger mit der Terrormiliz bekam. Die Angstzustände wurden noch schlimmer, als Amina im syrischen Rakka, der inoffiziellen Hauptstadt des IS, in eine Schule kam. Die Kinder mussten sich nicht nur mit dem Koran befassen, die Lehrer schilderten auch das Bestrafungssystem des IS. Bis hin zum Kopfabschneiden.

In Rakka wurde Nadia B. wieder Mutter. Sie bekam zwei Söhne, Vater war Ahmed C. Als die Luftangriffe auf die Stadt zunahmen, setzte sich die Familie 2017 in die nordsyrische Provinz Idlib ab. In der Region sind bis heute neben dem IS auch dschihadistische Milizen mit Verbindung zu Al Qaida aktiv. Kampfflugzeuge von Syriens Diktator Baschar al Assad und der mit ihm verbündeten Russen fliegen immer wieder Angriffe. Bei einem Bombardement im Mai 2017 starb Ahmad C., vor den Augen seiner Stieftochter Amina. Das Kind musste auch mitansehen, wie einer ihrer kleinen Halbbrüder verletzt wurde.

Der neue Mann vergewaltigte die Mutter

Nadia B. heiratete wieder, auch diesmal nach islamischem Recht. Der neue Mann, ebenfalls IS-Kämpfer, vergewaltigte die Frau. Für Tochter Amina nahmen die Angstzustände kein Ende. Im September 2018 setzte sich Nadia B. dann mit ihren Kindern in die Türkei ab.

Im März 2019 flogen die drei Kleinen mit einer Bekannten von Nadia B. nach Frankfurt am Main. Das Jugendamt nahm die Kinder in Obhut. Nadia B. kam kurz darauf ebenfalls nach Deutschland zurück. Und bekam ihr viertes Kind. Das Frankfurter Jugendamt nahm es ihr im August 2020 weg. An dem Tag, an dem Nadia B. festgenommen wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft wirft der Frau in der Anklage auch vor, beim IS ein Sturmgewehr besessen zu haben. Und Nadia B. soll nach ihrer Ausreise zum IS weiterhin Geld von Jobcenter und Familienkasse bezogen haben, insgesamt mehr als 8000 Euro.

Den schlimmsten Schaden haben allerdings die Seelen der Kinder erlitten, vor allem bei Amina. Die Tochter gilt als hochgradig traumatisiert. Dass sich das Kind jemals von dem jahrelangen Schrecken erholt, den die Mutter in erheblichem Maße zu verantworten hat, ist zweifelhaft.

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