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Schule: Islamunterricht: "Keine Distanz zur eigenen Religion"

Glauben ja, Kritik nein: Der Islamunterricht an Berliner Schulen erzieht laut Wissenschaftlern nicht zum Bildungsziel der "Mündigkeit". Der Schwerpunkt liegt auf der Verkündung des Islam.

Der Islamunterricht in Berlin kollidiert mit dem staatlichen Bildungsziel der „Mündigkeit“ des Schülers. Im Unterricht der Islamischen Föderation Berlin (IFB) „fehlt die Außenperspektive, den Schülern wird keine Distanz zur eigenen Religion beigebracht und keine Kritikfähigkeit“, sagte die Islamwissenschaftlerin Irka Mohr am Montag bei einer Veranstaltung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Der Schwerpunkt des Unterrichts der IFB liege auf der Verkündigung des Islam und der Einübung in die Glaubenspraxis – genau das, was der Staat nicht wolle. Das Problem sei, dass die IFB „nicht gezwungen ist, ihre Ziele mit denen des Staates und der Schulen abzustimmen“.

Irka Mohr von der Universität Erfurt ist die erste Islamwissenschaftlerin, die den Islamunterricht in verschiedenen Bundesländern vergleicht, so wie er in Modellversuchen seit einigen Jahren stattfindet. Sie hat Unterrichtsstunden besucht und mit Lehrern gesprochen.

Die erzkonservative Islamische Föderation erteilt seit 2001 Religionsunterricht an mittlerweile 31 Berliner Grundschulen. Von Jahr zu Jahr nehmen mehr Schüler daran teil, im vergangenen Jahr waren es 4471 Kinder. Auch die liberalen Aleviten bieten hier Islamunterricht an, allerdings gehen die Schülerzahlen zurück, 2007 waren es 142. Da Berlin im Gegensatz zu fast allen anderen Bundesländern Religion nicht als reguläres Unterrichtsfach an den Schulen anbietet, gestalten die Religionsgemeinschaften den Unterricht in eigener Regie. Der Staat hat kaum Einflussmöglichkeiten.

Anders ist es in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg, in Baden-Württemberg und Bayern. Dort haben die Länder und die muslimischen Verbände gemeinsam die Inhalte für den Islamunterricht erarbeitet. Das Ziel, das die staatliche Seite mit dem Unterricht verfolgt, ist die Mündigkeit des Schülers im Umgang mit Religionsfragen. Auch in Berlin sei die „Mündigkeit“ des Schülers das oberste Bildungsziel, so Mohr. Die IFB interpretiere dies allerdings in ihrem Sinne und nenne als Ziel des Islamunterrichts den „mündigen Muslim“. Das bedeute, der Schüler soll auf jeden Fall zum Glauben und zum Beten erzogen werden, darüber hinaus aber noch angeben können, warum er betet.

Nach Irka Mohrs Erfahrungen kollidiert die staatliche Zielvorgabe aber auch anderswo mit den Wünschen der muslimischen Gemeinschaft. In vielen Bundesländern „lavieren die Lehrer herum“, wenn sie den Schülern erklären sollen, was zu den normativen Grundsätzen des Islam gehört und was zur kulturellen Beigabe, was Interpretationssache ist und was nicht. Mohr erzählte etwa von einer Lehrerin in Niedersachsen. Wenn diese von Kindern gefragt werde, ob man als Muslim tatsächlich fünf Mal am Tag beten müsse, so antworte sie, dass die Glaubenspraxis Privatsache sei, über die man im Klassenzimmer nicht sprechen solle. Überzeugend sei dies wohl nicht, so Mohr.

Der Hamburger Religionspädagoge Wolfram Weiße schwärmte dagegen vom Hamburger Modell. Dort gestalten christliche, jüdische und muslimische Lehrer die Religionsstunden gemeinsam. Dadurch würden Kinder Religion nicht als abgrenzend, sondern als etwas Integratives kennenlernen. Dass diese ungewöhnliche Unterrichtsform entstehen konnte, liegt auch daran, dass die Kommunikation zwischen dem Hamburger Senat und muslimischen Organisationen einfacher ist als etwa in Berlin. Denn in Hamburg haben sich die Muslime zu einem Dachverband, der „Schura“, zusammengeschlossen. „Getrennter Islamunterricht wäre für Hamburg ein Rückschritt“, sagte Weiße. Das sieht auch die Schura so. Als Hamburgs Erster Bürgermeister, Ole von Beust (CDU), der Schura vor ein paar Jahren angeboten habe, einen eigenständigen Islamunterricht einzuführen, habe sie abgelehnt, weil sie den multireligiösen Unterricht für besser halte. „Den Islamunterricht gibt es in Deutschland nicht“, sagte Irka Mohr, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze. Nirgendwo allerdings, das wurde am Montag klar, nimmt der Staat so wenig Einfluss auf die Inhalte wie in Berlin.

Claudia Keller

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