Berlin: Jüdische Gemeinde rückt einer Spaltung immer näher
Liberale Mitglieder fühlen sich nicht mehr vertreten Der Vorstand stärkt die orthodoxe Richtung
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Die Jüdische Gemeinde Berlin steht möglicherweise vor der Spaltung. In der aktuellen Ausgabe der Gemeindezeitung „Jüdisches Berlin“ schreibt der Gemeindevorsitzende Gideon Joffe zwar, dass er als „Vertreter der Einheitsgemeinde“ der Meinung ist, „dass es verschiedene Facons geben muss, nach denen ein jeder glücklich sein darf“. Aber immer mehr Gemeindemitglieder, die sich als liberale Juden verstehen, kehren der Gemeinde den Rücken, weil sie sich durch den Vorstand nicht mehr vertreten sehen.
Prominente wie Julius Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam, sind bereits ausgetreten. Nun macht sich auch Anwalt Albert Meyer, der frühere Gemeindevorsitzende, „ernsthaft Gedanken, auszutreten“. Anlass ist die Entscheidung des Kultusdezernenten Maw Haymov, Urnenbestattungen auf jüdischen Friedhöfen zu verbieten. Juden dürften sich nicht einäschern lassen, dies Verbot entspreche der jüdischen Tradition, schreibt Haymov in der Gemeindezeitung. Die orthodoxen Gemeinderabbiner unterstützen das Verbot.
„Es ist seit über 150 Jahren Tradition in Berlin, dass auf jüdischen Friedhöfen Urnenbestattungen stattfinden“, hat Albert Meyer in einem Brief an den Gemeindevorstand geschrieben. Eines der prominentesten Urnengräber sei das der Witwe des Malers Max Liebermann auf dem Friedhof in der Schönhauser Allee. Während orthodoxe Rabbiner davon ausgingen, dass nur intakte Körper nach dem Tod auferstehen können, würden liberale Juden nicht so sehr an eine körperliche Auferstehung glauben als viel mehr an die Auferstehung der Seele, sagt der liberale Berliner Rabbiner Walter Rothschild. In anderen westeuropäischen Ländern seien Urnenbeisetzungen in jüdischen Gemeinden „relativ normal“. In England etwa würden sie ein Drittel aller jüdischer Bestattungen ausmachen. „Wenn man meint, dass eine eingeäscherte Person keine Chance zur Auferstehung hat, dann bringt man auch die Opfer des Holocaust um diese Chance“, sagt Rothschild. Die Friedhofsordnung der jüdischen Friedhöfe in Berlin sieht „in Ausnahmefällen“ die Bestattung der Asche einer Person vor.
Kultusdezernent Haymov stört sich auch daran, dass in der Synagoge in der Oranienburger Straße, „die ein Symbol für das hiesige Judentum ist, fast der gesamte Kultus von Frauen ausgeübt wird. Nach meiner Meinung sollte dort ein Mann amtieren“. „Das ist nicht mehr die Gemeinde, in der sich unsere Familien wohlfühlten“, sagt Julius Schoeps. Es gebe eine Welle „massiver Austritte“. Von einem „großen Unbehagen“ unter den liberalen Juden spricht auch Benno Bleiberg, Mitglied der Repräsentantenversammlung der Gemeinde.
Es mehren sich die Gerüchte, dass die Abtrünnigen eine eigene Gemeinde gründen wollen. „Es hängt davon ab, ob die liberal eingestellte Oppositionsgruppe nach der Wahl am 25. November im neuen Vorstand vertreten ist“, sagt Bleiberg. Wenn nicht, werde eine Spaltung wahrscheinlicher. Der Vorstand der Gemeinde ließ ausrichten, dass man über die Frage der Urnenbestattung noch berate.
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