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Umkämpfter Komplex: die ehemalige Lungenklinik Heckeshorn.

© Thilo Rückeis

Kein Recht auf Ruhe: 800 Flüchtlinge nebenan sind nicht zu viel, meinen Richter

Sie sind hin- und hergerissen zwischen Hilfsbereitschaft und Überforderung: Am Wannsee wehren sich Anwohner gegen Flüchtlinge. Ein Gericht lud zum Ortstermin.

Von Fatina Keilani

Wie viel ist zu viel? Das ist eine Frage, die sich in vielen Lebenszusammenhängen stellt. Sind knapp 800 Flüchtlinge zu viel, wenn sie sich auf 20 Hektar Fläche verteilen? „Das macht 170 Quadratmeter pro Person, so viel kann ich meiner Familie jedenfalls nicht bieten“, sagt Matthias Schubert.

Der Vorsitzende der 13. Kammer des Verwaltungsgerichts, die sich mit Baurecht beschäftigt, hatte für Donnerstag einen Ortstermin angesetzt, am Wannsee, in der Straße Am Heckeshorn. Auf das Gelände der früheren Lungenklinik sollen Flüchtlinge ziehen. Anwohner wehren sich dagegen. 800 Flüchtlinge sind zu viel, wenn sie bloß 800 Anwohnern gegenüber stehen, egal wie groß das Gelände ist, so ihre Überzeugung.

Das Gericht folgt dem nicht. Es weist die Eilanträge ab. Das bedeutet, auch die Klagen der Anwohner im Hauptsacheverfahren, die sich gegen die Baugenehmigungen richten, haben keine aufschiebende Wirkung. Die Berliner Immobilien Management GmbH (BIM) als Vorhabenträgerin könnte also loslegen mit der Herrichtung der Gebäude – theoretisch.

Praktisch stehen dem noch die Belange von ein paar Fledermäusen und Vögeln im Weg, dazu später. Zudem sinken die Flüchtlingszahlen, die Pläne sind von 2017, dieses „Eilverfahren“ ist ziemlich langwierig. Die Plätze werden womöglich gar nicht gebraucht, gibt Klägeranwalt Arnd Barnitzke zu Bedenken.

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Genehmigt sind 762 Plätze für Flüchtlinge, befristet auf drei Jahre. Kurz gibt es Verwirrung um das Wort „Erwachsenenplätze“, der Hamburger Anwalt Gero Tuttlewski, der einen Anwohner vertritt, rechnet gleich mal hoch, mit Kindern ergäbe das eher so 1500 Personen. Hier wiederum kann Paola Messer, Justitiarin der obersten Bauaufsicht, ihn beruhigen: Ein Platz sei ein Platz, unabhängig vom Alter. Mehr Leute dort unterzubringen wäre zudem rechtswidrig.

Integration - wie soll das gehen bei der großen Fluktuation?

Das beruhigt die Anwohner einerseits. Andererseits: Auch die 762 sind ihnen eindeutig zu viel. „Ich habe geholfen, Flüchtlinge hier zu integrieren, über die evangelische Kirche und privat“, berichtet eine Anwohnerin am Ende der Sitzung. „Das waren anfangs so 200 bis 250 Menschen, und mehr ging wirklich überhaupt nicht.“ Es sei zum Teil auch frustrierend gewesen, bei allem guten Willen.

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Auch andere Anwohner äußern sich ähnlich. Sie hätten mitgeholfen, Sprachkurse gegeben. Doch ihre Schützlinge sind nicht mehr da, nun herrsche ständig Fluktuation in Haus A, dem einzigen Teil des Ensembles, der auch jetzt schon für Flüchtlinge genutzt wird, und der nun noch vergrößert werden soll. Man könne keine Beziehungen aufbauen, wenn die Personen nach wenigen Wochen wieder weg seien.

140 Meter vom Eingang entfernt - das ist genug

Es sei noch hinzugekommen, dass die Flüchtlinge einen Teil der Bäume zerstört hätten: „Es wird sehr viel von Flüchtlingen gegrillt, die wunderbaren Weiden hier am Heckeshorn sind zerstört worden, die Rinden wurden abgeschnitzt, dazu wird Radio gehört und Wasserpfeife geraucht, das ist laut, und das war früher nicht. Früher war hier alles still“, sagt die Anwohnerin.

Die Klinik ist seit mehr als zehn Jahren geschlossen.
Die Klinik ist seit mehr als zehn Jahren geschlossen.

© Thilo Rückeis

Darauf hat man eben keinen Anspruch, dass alles immer schön bleibt, meint hingegen das Gericht. Es hat sich für jeden einzelnen Kläger angeschaut, wie weit er vom Eingang zu dem Gelände entfernt wohnt, es sind zwischen 140 und 240 Meter. „Selbst wenn die Flüchtlinge eine Party machen oder länger draußen sind - da sehen wir kein Problem“, so das Gericht. Außerdem habe man hier immer damit rechnen müssen, dass es wieder mehr wird. Die Lungenklinik wurde 2007 geschlossen. Das idyllische Gelände am See und am Rande eines europäischen Vogelschutzgebiets wäre sicherlich auch sonst entwickelt worden. Baurechtlich liegt es im Innenbereich, kann also beplant werden.

Es geht um Eilanträge gegen drei Baugenehmigungen

Überhaupt, das Baurecht. Es ist sehr kompliziert. Die beiden Verfahren betreffen Eilanträge gegen drei Baugenehmigungen, denen zwei verschiedene Bebauungspläne zugrundeliegen. Von den Klägern wohnen die meisten im Gebiet des Bebauungsplans, in dem die frühere Klinik nicht liegt.

Einen Gebietserhaltungsanspruch prüft das Gericht schon deshalb nicht; die Kammer beschränkt sich auf die Frage, ob das Rücksichtnahmegebot verletzt ist. „Hierfür muss das öffentliche Interesse an der Realisierung der Baugenehmigung gegen das Interesse der Nachbarn abgewogen werden“, sagt Schubert. So gut er die Sorgen der Anwohner verstehen könne: „Nur dass die Flüchtlinge hier durch die Straßen laufen, reicht nicht für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme.“

Zumal die Nutzung für maximal drei Jahre erlaubt wurde. „In der Zeit soll ein Bebauungsplan erstellt werden“, sagt Justitiarin Messer. Das sei für Berliner Verhältnisse zwar ehrgeizig, aber möglich.

Jetzt geht es um den Naturschutz

Die Baukammer hat die Eilverfahren erst mal vom Tisch, aber die Klagen noch vor sich. Außerdem bekommt nun die Naturschutzkammer des Verwaltungsgerichts Arbeit. Die Vergrößerung von Haus A scheiterte eine Zeitlang am Fehlen einer Ausnahmegenehmigung der Naturschutzbehörde, weil dort besonders geschützte Fledermäuse nisten. Mittlerweile liegt sie vor, doch nun greift ein Naturschutzverband sie vor Gericht an.

Ähnlich verhält es sich bei Haus D und E, nur dass es hier noch keine Ausnahmegenehmigung gibt. Um Vögel geht es bei zwei ehemaligen Schwesterwohnheimen, die ebenfalls umgebaut werden sollen. Sie liegen am westlichen Düppeler Forst, einem europäischen Vogelschutzgebiet. Zusammengefasst: Der Bau geht wohl noch länger nicht los.

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