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Im September 2019 war das Auto über die Gegenfahrbahn hinweg von der Straße abgekommen. Es überschlug sich und tötete vier Menschen auf dem Gehweg.

© Annette Riedl/dpa

Update

Bewährungsstrafe nach tödlichem SUV-Unfall in Berlin: „Kein Urteil kann den unsagbaren Schmerz lindern“

Vier Fußgänger kamen 2019 in der Invalidenstraße ums Leben, das jüngste Opfer war drei Jahre alt. Der Unfallfahrer wurde zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt

Er durfte sich nicht hinters Steuer setzen. Michael M. habe bewusst fahrlässig gehandelt, er habe gewusst, dass es das Risiko eines weiteren epileptischen Anfalls gab, stand für die Richter nach rund viermonatigem Prozess um den schweren SUV-Unfall mit vier Toten in der Invalidenstraße in Mitte fest. Zwei Jahre Haft auf Bewährung ergingen gegen den 45-jährigen Angeklagten. Damit gingen die Richter sechs Monate über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus.

Schuldig der vierfachen fahrlässigen Tötung sowie der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs, urteilten das Landgericht am Donnerstag. Die Fahrerlaubnis des angeklagten Unternehmers aus der Autobranche wurde eingezogen – vor Ablauf von zwei Jahren darf ihm kein neue erteilt werden. Zudem soll M. als Auflage 15 000 Euro an einen gemeinnützigen Verein zahlen.
Am 6. September 2019 gegen 19 Uhr befuhr Michael M. mit seinem Porsche Macan Turbo die Invalidenstraße in Mitte. Seine Mutter und seine kleine Tochter saßen mit im Auto. Plötzlich ein epileptischer Anfall.

Das rechte Bein verkrampfte, trat auf das Gaspedal. Mit maximaler Beschleunigung und ungebremst raste der schwere Wagen auf den Gehweg, rammte mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde einen Metallpoller und erfasste an einer Ampel vier Fußgänger. Sie hatten keine Chance. Ein Junge, drei Jahre alt, seine 64-jährige Großmutter und zwei Männer im Alter von 28- und 29 Jahren starben am Unfallort.

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Michael M. hätte wegen seiner Krankengeschichte nicht Auto fahren dürfen, hieß es vom Gericht. Er hatte im Mai 2019 erstmals in seinem Leben einen epileptischen Krampfanfall erlitten.

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Ihm wurden Medikamente verordnet. Drei Monate später ließ er sich in der Schweiz bei einer minimalinvasiven Operation einen kleinen Hirntumor entfernen. Ärzte hätten mit ihm auch über Fahrtauglichkeit gesprochen, so das Gericht. Und ein Berliner Neurologe habe ihm noch wenige Tage vor dem Unfall nachgerufen: „Denken Sie daran, nicht zu fahren.“

Zentrale Frage war im Prozess, was diagnostiziert wurde, wie Belehrungen über die Risiken erfolgten. M. hatte erklärt, er sei nach der erfolgreichen Operation sicher gewesen, er würde keinen Anfall mehr erleiden. Ein Fahrverbot sei ihm nach dem Eingriff auch nicht erteilt worden. Es sei gesagt worden, er solle für einen Monat nach der OP nicht Auto fahren. Für ihn sei das allerdings eine Empfehlung gewesen.

Doch es wäre seine Pflicht gewesen, sich zu informieren, seine Eigenverantwortung, sagte der Vorsitzende Richter Willi Thoms. Er sei von Ärzten dafür sensibilisiert worden, dass weitere Anfälle auftreten könnten.

Auch wenn Mediziner den Angeklagten teilweise falsch oder unvollständig über seine Fahreignung aufgeklärt hätten, treffe ihn wie jeden Fahrzeugführer und jede Fahrzeugführerin die Pflicht, vor jedem Fahrtantritt zu prüfen, ob er sicher ein Fahrzeug führen kann. Er hätte sich ausdrücklich danach erkundigen müssen, welche Regeln für ihn gelten. Allgemein wäre wünschenswert, wenn die Fahrerlaubnisbehörde über ärztliche Fahruntauglichkeit informiert werden würde.

Vier Menschen sterben – und der Unfallfahrer bekommt eine Bewährungsstrafe? „Kein Urteil kann den unsagbaren Schmerz der Hinterbliebenen lindern“, sagte Richter Willi Thoms. Michael M. habe nur wegen besonderer Umstände „gerade noch“ Haft auf Bewährung bekommen.

Denn der Angeklagte habe durch die Freigabe seiner Patientenakte und der Entbindung seiner Ärzte von der Schweigepflicht eine umfassende Aufklärung des Falles erst ermöglicht. Im Strafmaß zudem sein tiefes Bedauern berücksichtigt worden. Auch habe er bereits ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro gezahlt.

Äußerlich regungslos hörte M. das Urteil. Ob er Rechtsmittel einlegen wird, blieb zunächst offen. Verteidiger Robert Unger, der auf Freispruch plädiert hatte, sagte: „Wir werden das in Ruhe besprechen.“ Ärzte hätten seinen Mandanten „falsch und schlecht beraten, er konnte deshalb seine eigene Situation nicht richtig einschätzen“.

Die Anwälte von neun Nebenklägern zeigten sich eher zufrieden mit dem Urteil. Es sei gut begründet, sagten sie. Für ihre Mandanten sei wichtig: „Die Verantwortung lag bei dem Fahrer und nicht bei den Ärzten.“

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