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Berlin: "Keine Unterrichtsstunde vergeuden!" - Plädoyer eines Lehrers gegen den Streik

Ich bin 59 Jahre alt und Lehrer an der Richard-Grundschule in Neukölln. Am Streik werde ich mich nicht beteiligen.

Ich bin 59 Jahre alt und Lehrer an der Richard-Grundschule in Neukölln. Am Streik werde ich mich nicht beteiligen. Mich interessiert weniger die Tatsache, dass eine Teilnahme als Beamter gesetzwidrig ist als vielmehr: Wem nützt der abermalige Unterrichtsausfall? Bereits am vergangenen Mittwoch war schon nach der 3. Stunde Schluss, für Personalversammlungen und einen Protestmarsch.

Es trifft doch letztlich wieder die Schwächsten, für die jede Unterrichtsstunde notwendig ist. In meiner fünften Klasse ist der Ausländeranteil ziemlich hoch. Ich registriere: unzureichende Fertigkeiten und Fähigkeiten, mangelnde Kenntnisse, sprachliche Schwierigkeiten - eins halte ich allerdings meinen Schülern zugute: die meisten sind interessiert und lernwillig, freien sich über jede gute Leistung, über jeden Lernfortschritt. Daraus leite ich ab: Keine Unterrichtsstunde vergeuden!

Wenn aber seitens der GEW nun schon wieder "eins drauf" gesetzt wird, kann ich das nicht nachvollziehen. Bei aller berechtigten Kritik an der Berliner Schule - von einer "Notsituation" (GEW) zu sprechen halte ich für maßlos übertrieben. Trotz Streik - die zusätzliche Stunde wird kommen. Damit kann man leben. Hand aufs Herz: Trotz Vor- und Nachbereitung, trotz Stress im Schulalltag, Konferenzen, Beratungen, Elterngesprächen etc. bleibt uns Pädagogen noch Zeit für eigene Interessen und Erholungsmöglichkeiten an den Wochenenden. Dem Lehrer in Deutschland geht es im Vergleich zu den meisten Berufskollegen anderer Länder gut - wer das bestreitet, lügt.

Ein wenig Augenmaß für die Realität wäre angebracht. Ob alle Kinder vor Begeisterung über einen weiteren schulfreien Tag jubeln, ist zu bezweifeln.

Siegfried Uhl

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