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SONNTAGS um zehn: Kerzen für die Kinder

In Alt-Wittenau feiern verwaiste Eltern eine Andacht

Warum ausgerechnet Daniel? Daniel, der noch die Abiturrede gehalten hatte, der Gedichte und Glossen schrieb. Gerade einmal 19 Jahre alt war Daniel, als er starb. Ein Riss in der Aorta, plötzlich, vier Wochen nach dem Abitur. Fünf Jahre ist das her. „Er wollte Literaturwissenschaften und Philosophie studieren“, sagt seine Mutter Sabina Stry. Mit ihrer Familie ist sie am Samstag in die Dorfkirche in Alt-Wittenau zur Gedenkandacht für verstorbene Kinder gekommen. „Hier wurde Daniel getauft, hier wurde er konfirmiert, hier stand auch sein Sarg“, erinnert sie sich im Gottesdienst.

Der zweite Sonntag im Dezember ist der Weltgedenktag für verstorbene Kinder, Geschwister und Enkel. Ein Tag, an dem Menschen Kerzen für ihre Verstorbenen ins Fenster stellen. Auch in der Alt-Wittenauer Dorfkirche zünden viele Eltern Kerzen an. Namen und Alter der verstorbenen Kinder werden vorgelesen: Svenja 23 Jahre, Kevin 16 Monate, Amelie 6 Jahre, Marius 16 Jahre. Kaum einer ist in der Dorfkirche, der nicht Bruder oder Schwester, Tochter, Sohn oder Enkel verloren hat. Am Ende des Gottesdienstes brennen 29 Lichter auf den Stufen vor dem Altar.

In der Kirche ist Platz für die Trauer und das Erinnern, aber auch für die Hoffnung. „Für viele ist das Aussprechen ihrer Geschichten, und dass sie nicht alleine sind, ein großer Trost“, sagt Pfarrerin Sabine Lettow. In der Gedenkandacht soll jeder Trost finden können, ganz egal, welcher Religion oder Konfession er angehört, meint sie. Nach und nach treten Väter und Mütter vor den Altar. Eine Mutter erinnert sich daran, wie sie und ihre Tochter die Bat-Mizwa, im Judentum das Fest der religiösen Mündigkeit, versäumt haben. Ein Vater fragt sich, ob seine Tochter jetzt wohl das erste Mal verliebt wäre. Eine Mutter erinnert an die gemeinsam verbrachten Fußballabende mit Mann und Sohn vor dem Fernseher.

Manch einer wischt sich Tränen aus den Augen. Es herrscht eine vertraute Atmosphäre in der Dorfkirche. Viele Gottesdienstbesucher kennen sich aus der Trauerselbsthilfegruppe für verwaiste Eltern, die Sabina und ihr Mann Christian Stry nach dem Tod ihres Sohnes gegründet haben. Gemeinsam haben die Eltern vom Verein „Leben ohne Dich“ die Andacht vorbereitet, ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Auch Sabina Stry, die nach dem Tod ihres Sohnes eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin gemacht hat, hat einen Text formuliert: „In meinen Träumen lebst du, und es geht dir gut“, liest die 47-Jährige vor. „Es wird ein Wiedersehen geben. Ich hoffe, dass dein Lachen und mein Lachen irgendwo neu erklingen werden.“ Barbara Schneider

Infos im Internet:

www.leben-ohne-dich.de

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