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Berlin: Klimaschutz mit Kettensäge

In ganz Berlin werden viele Straßenbäume gefällt – für den Bau von Radwegen. Anwohner des Humannkiezes fühlen sich überrumpelt, Pankows grüner Stadtrat gibt Fehler zu.

Von Christian Hönicke

Ingrid Heinken ist frustriert. Seit 16 Jahren wohnt sie an der Stahlheimer Straße in Prenzlauer Berg, „ich schaue auf zwei wunderschöne alte Straßenbäume“. Am Freitag sollen sie verschwinden. Das Bezirksamt hat angekündigt, im Zuge der Straßenumgestaltung 24 Bäume zwischen der Erich-Weinert- und der Wisbyer Straße fällen zu lassen. Die Anwohner sind empört, sie fühlen sich überrumpelt, Protestzettel kleben an den dem Tode geweihten Bäumen. „Mich empört der Umgang mit der Öffentlichkeit“, sagt Heinken, die angekündigten 20 Neupflanzungen vermögen sie nicht zu besänftigen. „Ich habe mit einer Dame vom Bauamt telefoniert, die sagte mir: Das ist doch alles nicht so schlimm, wir machen das jetzt einmal ordentlich neu, und in 40 Jahren ist alles wieder schön.“

Die Bäume müssen ausgerechnet für die Anlage des Fahrradschnellstraßennetzes weichen, ein Prestigeprojekt der Berliner Grünen – vorangetrieben von Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner, der zuvor Baustadtrat in Pankow war. Schon in den vorigen Bauabschnitten Kastanien- und Pappelallee gab es große Proteste dagegen. Seit einiger Zeit wehrt sich auch eine Anwohnerinitiative gegen die 2019 geplante Umgestaltung der Kastanienallee in Rosenthal. Dort sollen ebenfalls ein Radweg entstehen, Parkplätze verlegt und dafür Bäume gefällt werden. Aber auch in anderen Bezirken sollen Bäume für Radwege abgesägt werden: In Spandau an der Heerstraße zwischen Freybrücke und Stößenseebrücke gleich deren 62 bis Ende Februar. In Tiergarten wurde das Schleswiger Ufer zum Ärger der Anwohner schon im Januar für den neuen Spreeradweg gerodet.

In der Stahlheimer Straße in Prenzlauer Berg ärgern sich die Anwohner vor allem über die Verschwiegenheit des Bauamts. „Im Spätsommer habe ich hier eine Frau vom Amt mit einem Klemmbrett herumschleichen sehen, die hat aber herumgedruckst und sich herausgeredet“, sagt Heinken. Während die vorherigen Abschnitte der Fahrradschneise, etwa in der Pappelallee, wenigstens durch ein umfassendes Bürgerbeteiligungsverfahren begleitet wurden, wurden die Anwohner der angrenzenden Stahlheimer Straße erst vor zwei Wochen per Zettel informiert. Ein Baumgutachten wie in der Pappelallee wurde nicht ins Internet gestellt – nun gibt es kaum noch Chancen, Einspruch zu erheben. „Das ist nicht transparent“, schimpft Heinken. „Das Amt ruht sich darauf aus, für den dritten Bauabschnitt müsse man rechtlich gesehen keine Öffentlichkeitsarbeit mehr machen.“

Ein Fehler, wie Vollrad Kuhn zugibt. Der grüne Baustadtrat von Pankow hat „die Reaktionen der Anwohner nicht richtig eingeschätzt“. Es habe nicht die finanziellen Mittel für eine breite Bürgerbeteiligung wie in der Pappelallee gegeben, weil es sich nicht um ein Sanierungsgebiet handle. Ein weiteres Problem war laut Kuhn der „Formfehler“ im Gutachten der Bäume, sie seien falsch nummeriert worden, deswegen habe man es nicht im Internet veröffentlicht.

Absagen könne man die Fällungen aber nicht mehr, am 28. Februar beginne die Schonfrist für die Vögel, außerdem sei die Firma schon beauftragt und die Sperrung der Straßenbahnstrecke bei der BVG angemeldet worden. So holte er die Werbung für den 1,7 Millionen Euro teuren Bauabschnitt bei einem eilig anberaumten Gespräch in seinem Büro am Mittwoch nach. Es handle sich um Eschen und einen Ahorn, erklärte er den erschienenen Anwohnerinnen, „die wurden in einer Mitmachaktion in den 80ern nicht fachgerecht gepflanzt. Die flachen Wurzeln würden bei den Baumaßnahmen beschädigt werden.“ Die Standzeit der Bäume sei ohnehin begrenzt, gerade in der Stadt stünden sie unter hohem Stress, manche würden schon von innen verfaulen, „das sieht man als Laie nicht“. Das Gutachten empfiehlt, 19 der insgesamt 34 Bäume „aus Vitalitätsgründen“ zu fällen, 24 seien wegen der Schaffung der Baufreiheit nötig.

„Natürlich tut es mir um die Bäume leid, und ich versuche zu retten, was geht“, sagt Kuhn. Am Donnerstag versprach er nach einer letzten Prüfung, drei der 24 Bäume zu verschonen. Aber es gehe eben um Klimaschutz, „und da kann ich als Grüner nicht nur die Bäume sehen, es geht um mehr, auch um emissionsarme Verkehrskonzepte. Wir wollen die Leute aufs Fahrrad kriegen, das ist immer ein Zielkonflikt.“ Man habe wegen der Bäume versucht, Autoparkplätze auf Gehwege zu verlegen, aber die Straßenverkehrsbehörde sei dagegen. Auch in der Rosenthaler Kastanienallee stehen „die Kastanien eben leider im Weg, wenn man da eine Radverkehrsanlage will“.

Und die nächsten Konflikte bahnen sich schon an. Die Fahrradstraße soll von der Stahlheimer über die Neumann- und die Granitzstraße weitergeführt und im Bereich des Bahnhofs Pankow mit dem geplanten „Panke Trail“ verbunden werden. Dieser Radweg soll etwas weiter westlich ab dem Mauerpark parallel zur S-Bahn bis Pankow und schließlich bis nach Buch verlaufen. Dafür müssen noch jede Menge Bäume gefällt werden. „Wir kämpfen für diese große Idee“, sagt Pankows Baustadtrat Kuhn. „Da können wir nicht um jeden Baum ewig diskutieren.“ Sein Vorgänger Kirchner habe angerufen und appelliert, bloß nicht einzuknicken.

Immerhin will Kuhn die Anwohner künftig besser und früher informieren. Ein schwacher Trost für Ingrid Heinken. „Die Grünen wollen ihre Fahrradstraßen durchpeitschen, dafür müssen die Bäume sterben“, sagt sie. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich nie Grün gewählt.“

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