Berlin: Knatsch in Kreuzberg
Die Zukunft der Marheineke-Halle wird derzeit unter Anwohnern und Pächtern heftig diskutiert
Ein Kiez macht sich Sorgen um sich selbst. Rund um Marheinekeplatz, Bergmannstraße und Chamissoplatz in Kreuzberg sind die Nachbarn in Aufruhr, weil es Spekulationen um die Zukunft der Marheineke-Markthalle gibt. Dabei weiß niemand etwas Genaueres und kann es auch noch gar nicht wissen. Denn die Gutachten und Pläne für die Markthalle sind noch nicht gemacht, eine Grundlage für Diskussionen ist also nicht gegeben. Trotzdem machen sich die Händler in der Halle Sorgen. Ihre Mietverträge laufen aus oder sind teilweise nicht verlängert worden.
Das hat System. Der Vermieter, die Berliner Großmarkt GmbH, möchte die Halle aufhübschen und sanieren und das in einem Rutsch. Das heißt: Alle Händler müssen irgendwann raus, um Platz für die Handwerker zu machen. Deshalb sind die Händler entsprechend nervös. Davon, dass sie ein Jahr lang dichtmachen müssen, ist die Rede – das wäre der sichere Bankrott. Aber diesen Zeitplan bestätigt niemand, schon gar nicht die Berliner Großmarkt GmbH. Baustadtrat Franz Schulz (Grüne) mahnt denn auch bei der Diskussion um die Zukunft der Markthalle „zu mehr Augenmaß, ohne apokalyptisches Geschrei.“
Dazu gibt es in seinen Augen keinen Anlass. Er sieht die Marheineke-Markthalle im Gegensatz zu den Nachbarn und den Aktivisten im Mieterrat Chamissoplatz auf einem guten Weg. Die Sanierung werde die Einzelhändler in der Halle sogar stärken, weil die Halle heller und dadurch attraktiver werde. Auch der Geschäftsführer der Großmarkt GmbH, Andreas Foidl, beteuert, die Struktur der Halle nicht zerstören, sondern sie unterstützen zu wollen.
Das reicht indes nicht, um die Gemüter zu beruhigen. Am Dienstagabend hatten Mieterrat und Markthallen-Händler zur Anwohnerversammlung in die Passionskirche geladen.
Zusätzliche Unruhe bringt in der Nachbarschaft eine Baustelle in Sichtweite der Marheineke-Markthalle, in der Bergmannstraße. Dort haben die Bauarbeiten für ein neues Ärztezentrum begonnen, in dessen Erdgeschoss ein großer moderner „Kaiser’s“-Supermarkt und ein Diskountmarkt der Kette „Plus“ einziehen werden. Gegen dieses Projekt war der Mieterrat vergeblich zu Felde gezogen, hatte mit Plakaten „Kein Klotz im Kiez“ versucht, die Nachbarn einzustimmen. Allein, das Bezirksamt zeigte sich unbeeindruckt und erteilte die nötige Baugenehmigung.
Um dem Neubau seine klotzige Wirkung zur Bergmannstraße zu nehmen, erhält der Bau, der im Keller eine Tiefgarage mit 115 Plätzen bekommt, eine Fassade, die wie drei unterschiedliche Häuser anmutet. Dem Mieterrat-Argument, die neuen, großen Supermärkte gefährdeten die nahe gelegene Marheineke-Markthalle, wollte das Bezirksamt nicht folgen, sondern sieht auch hier die Lage genau andersherum: Gerade durch die Läden werde Kaufkraft in der Bergmannstraße gebunden, die direkte Nachbarschaft zur Markthalle aber vermieden und somit die Konkurrenzfähigkeit der Gemüsehändler, Fleischer und Bäcker in der Markthalle sogar noch gestärkt. Ende 2007 soll der Neubau fertig sein.
In Kreuzberg treffen widerstreitende Konzepte für den Bergmann-Kiez aufeinander. Nur in den Wünschen für die Zukunft ist man sich einig. Alle Beteiligten wollen die kleinen Läden an der Bergmannstraße wie die Einzelhändler in der Markthalle halten und ihren Kaffee Latte oder einen frisch gepressten Orangensaft weiterhin im Straßencafé trinken.
Was da am besten hilft: An Ort und Stelle einkaufen gehen, und nicht in den großen Supermärkten anderswo.