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Berlin: Kreuzberg gibt der Welt einen Kick

Vladimir Borkovic und Simon Schneider organisieren die Straßenfußball-WM 2006. Teams aus 24 Ländern werden dazu erwartet

Ruanda ist schon für die Weltmeisterschaft 2006 qualifiziert. Als Vladimir Borkovic das verkündet, ist es wieder auf seinem Gesicht, dieses euphorische Lächeln. Er sieht sie schon vor sich, die Schlagzeilen der Zeitungen in Kigali, der Hauptstadt des vom Bürgerkrieg traumatisierten Landes in Ostafrika: Wir fahren zur WM! Borkovic erinnert sich noch, welche Aufregung allein ein angereister Fotograf bei den jungen Fußballern dort auslöste. „Vladimir“, mailte ihm der Leiter des ruandischen Projekts „Football for Peace“ damals, „die stehen hier zu hunderten vor meiner Hütte.“ Im nächsten Jahr werden einige von ihnen nach Berlin kommen: Jungen, Mädchen, Fußballbegeisterte eben. Vom 1. bis zum 8. Juli, parallel zur Fifa-Weltmeisterschaft spielen 24 Teams aus der ganzen Welt am Mariannenplatz in Kreuzberg um die Weltmeisterschaft. Im Straßenfußball.

„Streetfootballworld festival 06“ heißt die Veranstaltung, und Borkovic gehört zu den Organisatoren. „Streetfootballworld“, das ist ein Straßenfußball-Projekt aus Charlottenburg, 2002 von Jürgen Griesbeck gegründet. Der Sportwissenschaftler hatte schon 1994 in Kolumbien Jugendliche Straßenfußball spielen lassen. Um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Mittlerweile ist Jürgen Klinsmann Botschafter des Projekts und stellt heute gemeinsam mit Innenminister Otto Schily (SPD) das Festival vor.

Vladimir Borkovic hat über das Internet ein Netzwerk aufgebaut, zu dem bereits 50 Projekte gehören. Projekte wie das aus Kenia. In Nairobi sammeln Nachwuchsfußballer Müll, sie fegen die Straßen der Slums, um dafür Punkte zu bekommen. In der Fußballmeisterschaft. Oder in London: Sozial benachteiligte Jugendliche kicken in der „Street League“ – und lernen so, ihr Leben wieder zu ordnen. Weil es eben nicht nur um Tore geht, sondern auch um Regeln, um das Miteinander. Ob in Afghanistan, Israel oder Kolumbien, die Initiativen sprechen eine Sprache: Fußball. Borkovic sagt: „Fußball ist ein Mittel, das lokale Entwicklungen unterstützt.“ Immer wieder erwähnt der 30-Jährige die „zwei Dimensionen“ des Sports. Den Kommerz und die Leidenschaft. Nach seinem Psychologie-Studium in Belgrad wurde er Profi, spielte in seiner Heimat Serbien, später in Darmstadt und Babelsberg. Borkovic hatte manchmal zehn Trainingseinheiten in der Woche. Und ging abends trotzdem noch mit seinen Kumpels kicken. In Senegal besuchte Borkovic erstmals eines der Projekte. „Du siehst die Kinder, um die du dich indirekt kümmerst“, sagt er bewegt. Es war etwas Besonderes, und es soll auch ein besonderes Festival 2006 werden.

Dafür steht auch Simon Schneider ein. Der Diplom-Kulturarbeiter, 33 Jahre alt, betreut das Rahmenprogramm. „Wir zeigen die Vielfalt des Straßenfußballs und der Kulturen“, sagt Schneider. In Potsdam betrieb er mal einen Fußballsalon. Es gab Vortragsreihen, mit Titeln wie „Fußball als Kulturphänomen“. Das alles war ein wenig verkopft. „Am Anfang habe ich Fußball total intellektualisiert“, sagt Schneider. Am Mariannenplatz soll nichts gestellt sein. Bunt wird es dennoch, aber nicht klischeehaft. Subversiv, nennt es Schneider. Das vielfältige Kreuzberg-Friedrichshain sei dafür genau richtig. Deshalb wird es auch ein Kiez-Team geben. Geplant ist eine mobile Containerarena, entworfen vom Berliner Architektenbüro raumlabor. Fünf gegen fünf wird darin gespielt, barfuß oder mit Schuhen, auf Beton vielleicht. 2000 Zuschauer passen rein, alle müssen stehen. Die Spiele werden in sechs Sprachen kommentiert, es wird Stadionessen aus aller Welt geben, Musik, auch Fotoausstellungen. Borkovic holt ein Netz voller Fußbälle hervor: einer aus Plastik, einer aus Stoff, einer aus Leder. Die Spieler werden sich vor den Partien für einen Ball entscheiden. Borkovic weiß, dass die Reise für viele Teilnehmer ein einmaliges Erlebnis wird. „Das verändert deren Leben.“ Wichtiger sei aber, dass die Projekte auch nach dem Festival weiter betreut werden.

Borkovic und Schneider haben Karten für die große, die kommerzielle WM. Leider nicht für alle Teilnehmer. Schneider seufzt. „Das wäre das Größte, alle beim Finale ...“ Dabei weiß er gar nicht, ob die Stimmung dort so ausgelassen sein wird wie in der Containerarena. Das Stadion, so der Literaturwissenschaftler Hans-Ulrich Gumbrecht einst, kehrt dem Alltag den Rücken zu. Schneider sagt: „Wir wollen acht Tage solch ein Stadiongefühl erzeugen.“ So, dass man hofft, die Spiele würden nie enden, man müsse nie wieder den Mariannenplatz verlassen. Etwa, um zurück nach Ruanda zu fliegen.

Patrick Bauer

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