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Türken in Berlin: Lautlos in die Mittelschicht integriert

170.000 Berliner sind türkischer Herkunft - das ist die größte Migrantengruppe in der Stadt. Viele zählen mittlerweile zur Mittel- und Oberschicht, berichtet der Integrationsbeauftragte Günter Piening. Kritiker warnen dennoch vor "Kuschel-Politik".

In Berlin hat sich dem Integrationsbeauftragten Günter Piening zufolge „völlig lautlos eine Oberschicht und ein Mittelstand integrierter türkischer Berliner etabliert“. Und das, obwohl die Migranten durch den Wegfall der industriellen Arbeitsplätze die Verlierer der Wende gewesen seien. „Für das weitere Gelingen der Integration ist es wichtig, jungen Migranten diese positiven Vorbilder stärker vor Augen zu halten, damit sie sich nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen“, sagte Piening, der heute eine neue Broschüre über Türken in Berlin präsentiert.

Die türkischen Berliner stellen mit 170000 Menschen die größte Migrantengruppe vor den Polen. Dass darunter zahlreiche Künstler und Unternehmer, Medienexperten, Wissenschaftler, Mediziner und andere Multiplikatoren seien, werde „bedauerlicherweise nicht genug wahrgenommen“, so Piening. Die Autoren der Broschüre haben die Erfahrung gemacht, dass die gut integrierten Türken oft nicht mehr mit dem „Türken-Klischee und der eigenen Community identifiziert werden wollen“. Positiv sei, dass die Zahl der nichtdeutschen Schulabbrecher zuletzt sank und die der Abiturienten stieg.

Berlins langjährige Ausländerbeauftragte Barbara John verwies darauf, dass es auch in früheren Jahrzehnten „gebildete Eltern gab, die ihre Kinder förderten. In Bildung zu investieren, ist daher der Schlüssel zur Integration.“ Dies ist umso wichtiger, da bereits 40 Prozent der unter 18-Jährigen in Berlin aus Einwandererfamilien stammen. Man müsse dringend die Altersgruppe der 25- bis 40-Jährigen im Blick behalten, rät John. In dieser Gruppe sei nahezu jeder zweite türkische Berliner arbeitslos. Auch die Broschüre zeigt, dass es im Bildungsbereich enorme Defizite gibt: Viele Migranten verlassen die Schule ohne Abschluss, nur 490 von 35 000 Azubis waren im Jahr 2005 Türken. 19 Prozent der deutsch-türkischen Kinder können auch nach mehr als zwei Jahren im Kindergarten kaum Deutsch.

Besonders die Situation der dritten und vierten Generation sei „dramatisch“, sagt die Rechtsanwältin Seyran Ates. „Gerade diejenigen, die demografisch über das Wachsen der Gesellschaft entscheiden, partizipieren nicht an der Bildung.“ Die Migrantenvereine müssten mehr auf die Eltern einwirken. Ates fordert zudem eine Kindergartenpflicht für Kinder ab drei Jahren. „Das Argument, dass das rechtlich nicht geht, lasse ich nicht gelten. Es gibt auch eine Schulpflicht.“ Statt „liberale Kuschelpolitik“ zu betreiben, müsse man Missstände in der Integrationspolitik thematisieren.

Dass es mehr türkische Selbstständige gibt, liege nicht an der Entwicklung des Mittelstandes, sondern sei Folge der hohen Arbeitslosigkeit, sagt der CDU-Politiker Kurt Wansner. Piening habe mit seiner Einschätzung „die Realität aus den Augen verloren“. Eine ganz andere Folge der Integration wird von der Grünen-Politikerin Bilkay Öney benannt: „Die Scheidungsrate der türkischen Familien liegt mit 30 Prozent fast so hoch wie die der deutschen Familien.“ (sib/kög)

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