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Neue Lehrformate an der Freien Universität Berlin: Wenn der Professor mit dem klassischen Hörsaal hadert
Sven Chojnacki, Vizepräsident für Forschung und Lehre an der FU Berlin, will auf Augenhöhe mit den Studierenden unterrichten und probiert neue Prüfungsformen. Noch ist er damit ziemlich allein.
Stand:
Wenn man in Sven Chojnackis Vorlesung an der Freien Universität hineinguckt, dann steht der Politikwissenschaftler nicht vorne am Pult, sondern in den Sitzreihen zwischen den Studierenden. Er hadert mit klassischen Hörsälen: Für ihn verstärken sie die Distanz zwischen Lehrenden und Lernenden und stehen für die klassischen Hierarchien in der Hochschule.
„Am liebsten hätte er einen Stuhlkreis gemacht“, sagt Till Henniges. Er studiert Politikwissenschaft an der FU und hat Chojnackis Vorlesung letztes Semester besucht: „Er saß mitten zwischen uns und wirkte so nahbarer.“ Aber lässt sich schon durch räumliche Veränderung die Lehre verbessern?
Neue Formate und flachere Hierarchien
Für Chojnacki ist das Teil seines größeren Ansatzes. Seit 2022 ist er Vizepräsident der FU für Studium und Lehre und will die universitäre Lehre verändern: „Die Studierenden kommen mit unterschiedlichen Ausgangslagen, deswegen brauchen wir individualisierte, adaptive Lernpfade,“ sagt er.
Damit meint er, dass die Studierenden mit unterschiedlichen Fähigkeiten an die Uni kommen, nicht für alle seien Frontalvorlesungen und Hausarbeiten die richtige Lernform. Er appelliert an Lehrende, neue Formate auszuprobieren: „die Distanz zu reduzieren“. Die könnten genauso von ihren Studierenden lernen, deswegen müsse man kollaborativer arbeiten, mit flachen Hierarchien.
Das ist eine schöne Idee, die aber relativ schnell an der Realität scheitert.
Leon Erhorn, Studierendenvertreter
Leon Erhorn, der sich bei der Landesastenkonferenz (LAK) der Berliner Universitäten mit Lehre beschäftigt, findet das: „Eine schöne Idee, die aber relativ schnell an der Realität scheitert.“ Er vermutet auch, dass bei vielen Professoren das „Ego“ im Weg steht. Dabei wären die Studis eher offen für eine andere Lehre.
Politikstudent Henniges beschreibt hingegen, wie trotz 200 Anmeldungen für die Vorlesung von Chojnacki nur ein paar Dutzend regelmäßig teilnahmen und es mit jeder Veranstaltung weniger wurden.

© Bernd Wannenmacher
Darauf angesprochen, ob sein Modell aufgeht, sagt Chojnacki, es gebe eine große Nachfrage. Er will mehr Auswahl anbieten: neben klassischen Vorlesungen auch innovative Formate, in denen Wissen angewandt wird. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass die Hierarchie, die der Student-Professor-Beziehung innewohnt, nicht aufzulösen ist: „Auch akademisch gehe ich von der Grundannahme aus, dass Herrschaft, Konflikt und Gewalt allgegenwärtig sind.“ Es gehe darum, „die bestehenden Verhältnisse kritisch zu reflektieren und konstruktiv zu bearbeiten.”
Asta-Vertreter Erhorn hält es für einen wichtigen Schritt, dass Professoren ihre Position hinterfragen: „Das Format: Vorne steht der allwissende Professor und in den Reihen sitzen die unwissenden Studierenden, das ist im 21. Jahrhundert nicht mehr angebracht.”
Chojnacki setzt schon länger auf alternative Formate – noch ist er damit ziemlich allein. Auch bei Prüfungen probiert er Neues aus. Studierende könnten auch mit „performativen Prüfungsleistungen“ seine Vorlesung abschließen, erzählt er. Das kann von Podcasts bis Kunstinstallationen alles sein, was sich mit wissenschaftlichen Ansätzen und Inhalten auseinandersetzt. Eine Gruppe entwickelte ein Würfelspiel, um die Fragilität von sozialen Konstrukten sichtbar zu machen: „Die Würfel funktionieren hier als Wissensbausteine, mit denen gesellschaftliche Konstrukte auf- oder abgebaut werden.“
Der Typ für radikale Reform ist er nicht, er will einen allmählichen Wandel. Bis dahin wird er, um der Hierarchie des Hörsaals zu entfliehen, wohl weiterhin gelegentlich mit seinen Gruppen auf die Flure des Henry-Ford-Baus ausweichen müssen.
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