Berlin: Lehrter Bahnhof: Die letzte Stahlbrücke wird abgerissen
Mitte. Alles nur noch Geschichte.
Mitte. Alles nur noch Geschichte. In einer Woche soll am Lehrter Bahnhof auch der letzte Rest der alten Stadtbahntrasse verschwunden sein, damit der neue Hauptbahnhof gebaut werden kann. Gestern begann der Abriss der 1907 gebauten stählernen Humboldthafenbrücke; der alte S-Bahnhof ist schon längst verschwunden. Parallel laufen die Arbeiten am künftigen Hauptbahnhof auf Hochtouren. Projektleiter Hany Azer ist zuversichtlich, dass die ersten Züge dort zur Fußballweltmeisterschaft im Mai 2006 halten können, wie es Bahnchef Hartmut Mehdorn vorgegeben hat.
Ein Schwimmkran hebt die insgesamt 20 Brückenteile der viergleisigen, 180 Meter langen Konstruktion jeweils komplett von den Pfeilern. Jeweils 85 Tonnen schweben dann am Haken und werden auf so genannte Schuten verladen, um später verschrottet zu werden. Anschließend werden die alten Pfeiler entfernt. Taucher werden kontrollieren, dass sie auch unter Wasser vollständig entfernt werden, damit die Schifffahrt später nicht behindert wird. Die Abrissarbeiten kosten insgesamt rund 10 Millionen Euro; der Abbau der Brücken erfordert davon 1,5 Millionen – bei Gesamtkosten für das Projekt von rund 500 Millionen Euro.
Lieber als vom Abriss redet Azer auch über den Aufbau. Die nächste Baustufe erfordert nochmals eine besondere Leistung der Ingenieure und Arbeiter. Wo der 1882 eröffnete S-Bahnhof stand, wird jetzt die letzte Grube für den neuen Hauptbahnhof ausgehoben. Südlich und nördlich davon ist der unterirdische Bahnhofsteil, der vier Bahnsteige und acht Gleise haben wird, im Rohbau schon fertig. Beim Ausheben der Grube, die insgesamt 120 Meter breit, auf der Westseite 75 Meter und auf der Ostseite sogar 130 Meter lang ist, dürfen die vorhandenen Trennwände, die die fertigen Tunnelteile schützen, nicht einbrechen. 20 Meter geht es dabei in die Tiefe. Ende 2003 soll der Boden ausgehoben sein.
Vom Fortschritt beim Bahnhofsbau werden auch die Autofahrer profitieren. Unter der Anlage verläuft der Tunnel der Bundesstraße 96, der ebenso wie die Bahnbauten nördlich und südlich vom letzten Bauabschnitt im Rohbau fertig ist. Nur das Stück unter dem ehemaligen Lehrter Stadtbahnhof fehlt auch hier noch.
Im Bahnhofsbereich werden unter Regie der Bahn gleichzeitig die Röhren der Eisenbahn, der einst geplanten U-Bahn sowie des Straßentunnels gebaut. Wenn der Rohbau des letzten Tunnelteils wie vorgesehen Ende 2004 fertig ist, könnten die Autos Anfang 2005 durch den Tunnel fahren. Nur die Ein- und Ausfahrten zur Invalidenstraße folgen später. So lange müssen die Autos auf der provisorischen Straße am Kanzleramt vorbeikurven, was bei der Planung der Regierungsbauten nicht vorgesehen war. Der Durchgangsverkehr soll im Tunnel verschwinden.
Doch der Bau des künftigen Hauptbahnhofs hat gewaltige Verspätung. Ursprünglich sollte die Station in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen. Jetzt ist die Fußballweltmeisterschaft 2006 das Ziel. Um es erreichen zu können, hat Bahnchef Mehdorn auch durchgesetzt, dass das weltweit einmalige Glasdach des Bahnhofs statt 454 Meter nur 321 Meter lang gebaut wurde. In die Lücke, die jetzt noch zwischen beiden Dachhälften klafft, werden zwei parallel liegende Büro- und Hoteltrakte gebaut, zwischen denen ebenfalls ein Glasdach entsteht, durch das Licht bis auf die unterirdischen Bahnsteige fallen soll. Autofahrer und Bahnfahrgäste können nun absehen, wann „ihre“ Bereiche fertig sein werden. Ob auch U-Bahn-Fahrgäste jemals bis zum Bahnhof fahren können, ist dagegen ungewiss. Die U-Bahn-Station wird nur als Rohbau erstellt; die weiteren Arbeiten zur Verlängerung der U 5 vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof hat der Senat gestoppt. Vorbereitet wird auch der Bau einer S-Bahn-Linie S 21 vom Nordring bis zum Bahnhof.
Noch vor der Inbetriebnahme für den Regional- und Fernverkehr will die Bahn den Lehrter in Hauptbahnhof umbenennen, wie es Bahnchef Hartmut Mehdorn und Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) beschlossen haben. An die alte Bezeichnung soll – in kleinerer Schrift – die Zusatzbezeichnung Lehrter Bahnhof erinnern. Damit erhält Berlin ein weiteres Kuriosum – den weltweit wohl einzigen „Hauptbahnhof“, in dem mindestens noch dreieinhalb Jahre nur S-Bahnen halten werden.