Berlin: Leser dichteten 2500 Verse für den Tagesspiegel-Haiku-Wettbewerb
Wer hätte gedacht, dass drei Zeilen so begeistern können? Eine kleine japanische Gedichtform hat nicht nur Hunderte von Tagesspiegel-Lesern zum Dichten von fast 2500 Haikus inspiriert.
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Wer hätte gedacht, dass drei Zeilen so begeistern können? Eine kleine japanische Gedichtform hat nicht nur Hunderte von Tagesspiegel-Lesern zum Dichten von fast 2500 Haikus inspiriert. Viele von ihnen ließen sich auch die lange Haiku-Nacht im Haus der Kulturen der Welt am vergangenen Sonnabend nicht entgehen. Sie waren neugierig, was ihre Konkurrenten geschrieben haben. Im Auditorium herrschte vor der Preisverleihung für die besten Haikus des Tagesspiegel-Wettbewerbs aufgeregtes Gedränge - und zehn Dichter konnten sich über Preise freuen. Doch auch viele andere Leser verdienen unser Kompliment: Sie haben das Thema des Wettbewerbes "Sommer in Berlin" auf ihre Art treffend eingefangen. Eine Auswahl präsentieren wir auf dieser Sonderseite und beginnen natürlich mit den zehn Sieger-Haikus. Die Begründung der Jury für die Preisverleihung formulierte die japanische Haiku-Forscherin Yoriko Yamada-Bochynek (ak).
Erster Preis: das Haiku, das einen stark auditiven Eindruck bricht mit einem Bild träger, sich kreuzender Bewegungen.
Schneidende Schreie
der Pfauen. Unbeirrt die
Fähre und der Fluss
Michael Wolff
Zweiter Preis: das Haiku, das das Thema des Wettbewerbs am gelungensten direkt umsetzt.
Weites Himmelblau Siegessäule als Sonnenuhr Zeiger des Sommers Monika Jäger
Dritter Preis: das Haiku, das sich durch besonderen melodischen Fluss auszeichnet.
Ohne Spuren die die Spiele der Mauersegler nachtschwer die Linden Wolf Lützen
Vierter Preis: das Haiku, das präzise eine kosmisch-irdische Beobachtung anstellt.
Die dunkle Pfütze.
Der Himmel treibt in Blasen
und zerplatzt lautlos
Gerd Börner
Fünfter Preis: das Haiku, das ein weitgefasstes Bild mit einem alltäglichen überraschend verbindet.
Stadtschwalben schweben
kreisen hoch im heißen Wind
Mineralwasser
Sabine Krüger
Preis für den "Haiku-Geist" - präzise Einfachheit
Hab mich als Kind
verirrt im KaDeWe - nun
komme ich als Oma...
Lia Frank
Preis für das leichtfüßige Haiku
Ein Mann will reiten
durch heißen Sand am Müggelsee
doch vergißt er das Pferd
Sophia Zimmer , 10 Jahre
Preis für das nachdenkliche Haiku
Der Fluß schrie mich an
Bleib doch stehen damit ich
sehe ich fließe
Ralf Schönwald
Preis für das originelle Klangbild
Silbrig propellert
der Doppeldecker und schrägt
das Himmelblaue
Steffen Brück
Preis für die treffende Alltagsbeobachtung
Unbekümmert um
neue Schwellen und Gleise
reift der Holunder.
Esther-Beate Körber
Weitere Haikus zum Sommer in Berlin
Tattoo am Schlachtensee
dem Drachen macht die Hitze nichts.
Allein das Mädchen schwitzt.
Lothar Stemwedel
Kleiner Mückenstich am Sonntag im Prinzenbad ein Schrei - und ein Sprung. Jan Brandt
Grün im Sommerbad
zur Gänze verdeckt von dem
Mosaik aus Frottee
Anja Kroll
Ein dunkles Zimmer noch im Morgengrauen ist das Laken eine Last Wolfgang Stättmayer
U-Bahn-Sauna
klebrige feuchte Sitzbänke
schmatzen beim Aufstehen.
Marion Wurdak
Weicher Asphalt
der Kudamm leuchtet schwarz
Schuhe bleiben kleben
D. Bührer
Unterm Vordach
der U-Bahn spült der Regen
bunte Schirme an
Volker Koesling
Gewitterwolken
im Rückspiegel leuchten noch
Zyanen und Mohn
Rudolf Thiem
Nach dem Sommergewitter
Die Schuhe pitschnass
Wo ist der Tagesspiegel
Uwe-Jens Has
Schiffbruch auf offener
Straße, in sternhagelklarer Nacht
froh ertrinken
Uta Degner
Im Reichstag brennt noch
Licht. Ein Volksvertreter schwimmt
im Landwehrkanal
Daniel Falb
Inselpfauenschrei
macht die Enge zum Dschungel
am Sommerabend
Joachim Noack
Flugzeug überm Haus
Prüfender Blick nach oben
Keine Rosinen?
Volker Koesling
Strandbad Wannsee
Der Sprungturm kurze Zeit
das Dach der Welt
Klaus Fenzelau
Als Berlinbonbon
steht der VW wie glaciert
früh unter Linden
Joachim Kraus
Kicherden Miniröcke.
Schwäbische Dialekte blockieren die Eisdiele
Sommer in Berlin
Christian Birkholz
Sonnenblumenwald. Auf dem Balkon wächst Schatten mir über das Buch Lars Steger
Flimmernde City.
Im Zoo der Panda zerkaut
bedächtig Bambus.
Marion Strack
Federn und Blätter
ziehen im Schlachtensee Spuren
durch goldenen Staub
Gisela Dineroth
Vor dem Café in Mitte
steht unbeachtet ein Oleander.
Und blüht . . .
Tobias Rapp
Teich in Schöneberg
von Weidenzweigen berührt
Die U-Bahn fährt ein.
Christa Pilgermann
Vorbei an Himmelkränen
Ersehnen überhitzte Hauptstadtkörper
Hinterhofschatten
Bert Howald
Michael Wolff
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